Die schwarzen Raender der Glut
gelben Lederpolstern und Stuttgarter Nummer, natürlich nicht. Auch keine anderen Autos mit Männern, die die Haare kurz geschoren haben. Er holt sein Handy heraus und versucht, Zundt anzurufen. Durch den Hörer schwebt der Mezzosopran der Hohen Frawe.
»Unsere Treue gilt der Heimat. Hier spricht der selbsttätige Anrufbeantworter der Johannes-Grünheim-Stiftung. Unsere Schriftstelle ist im Augenblick nicht besetzt . . .«
Klar doch, denkt Grassl. Die Hohe Frawe ist in Sonthofen, Freißle hilft freitags seinem Schwager auf dem Hof im Lautertal, der Alte geht nicht hin, damit man nicht merkt, dass er keine Sekretärin hat.
Er stellt das Handy ab und überlegt. Keine Kurzgeschorenen, schön und gut. Wie lange noch? Warum sind sie überhaupt hinter ihm her?
Wegen der beiden Pakete, Dummkopf.
An einer Bushaltestelle am Rande des Parkplatzes hängt ein Stadtplan. Er steigt aus und sucht den Standort der Hauptpost.
Franziska Sinheim faltet die beiden Briefe wieder zusammen. Für einen Augenblick bleibt sie sitzen, als ob sie müde sei.
Berndorf hat sich abgewandt und betrachtet die angelaufenen Fensterscheiben oder die Straße, die man dahinter sieht. Genau weiß er es selbst nicht.
Zeit vergeht.
Eine verirrte Wespe krabbelt die Scheibe hoch.
»Und was, bitte, hat die Staatsanwaltschaft nun unternommen?« Franziska steht neben ihm.
»Sie hat das Verfahren eingestellt«, antwortet Berndorf und sieht weiter der Wespe zu. »Was dachten Sie? Troppau war im Dienst. Was man ihm hätte vorwerfen müssen, wäre fahrlässige Tötung gewesen. Oder Körperverletzung mit Todesfolge. Das hat man schon 1972 nicht getan. Und bei seiner Selbstanzeige war das verjährt. Für alles andere fehlt der Vorsatz.«
Die Wespe gerät an eine blinde Stelle und verharrt.
»Und warum ist 1972 nichts unternommen worden?«
»Das fragen Sie?« Kennst du die Branche nicht? Du schreibst doch darüber. Was ist dem Hauptwachtmeister Kurras passiert, der 1967 den Studenten Ohnesorg erschossen hat? Und was dem Berliner Polizeichef, der damals die Prügelperser auf die Studenten losgelassen hat? Nichts ist ihnen passiert.
Niemals ist ernsthaft etwas unternommen worden, nichts gegen Kurras, nichts gegen den Polizeipräsidenten, nichts gegen Troppau oder irgendeinen anderen der Polizisten, die einen Menschen erschossen haben, in den bleiernen Jahren oder später. Die aus Überforderung getötet haben. Aus Nervosität. Die sich nicht mehr unter Kontrolle hatten, weil sie nach pausenlosen Einsätzen bis unter die Haarspitzen aufgeladen waren von Aggressivität und Frust. Die falsch ausgebildet waren. Und falsch eingesetzt. Die geschossen oder zugeschlagen haben, weil sie von den Zeitungen aufgehetzt waren, von den Zeitungen in Berlin und anderswo.
»Wie viele andere ist auch dieser Fall nicht vor Gericht gekommen«, fährt er schließlich fort, »weil Staatsanwaltschaft und Polizeiführung ihn um keinen Preis geklärt haben wollten. . .«
»Vielleicht sagen Sie mir wenigstens, warum Sie mich sprechen wollen? Und wie Sie mich überhaupt gefunden haben?«
»Sielaff von der Heidelberger Direktion hat mir gesagt, dass Sie als Gerichtsreporterin arbeiten. Mit ihrem Anrufbeantworter wollte ich nicht reden. Also habe ich es hier versucht.«
Die Adresse von diesem Mädchen brauch ich dir nicht rauszusuchen, hatte Sielaff gesagt, die lebt in Mannheim. Schreibt Gerichtsberichte für irgendwelche auswärtigen Blätter. Unsereins hat sie noch immer dick.
»Und haben mich aufgespürt«, stellt Franziska fest. »Sehr scharfsinnig. Und warum das alles?«
»Warum eine silberne Kette?«
»Keine Fragen.« Franziska Sinheim betrachtet ihn mit kalten ruhigen Augen.
»Ich weiß nicht, warum ich Ihre Gegenwart überhaupt ertrage. Warum ich nicht losschreie. Es ist Ihr Risiko, wenn ich’s tue.« Sie sieht ihn ruhig an. »Ich sagte es Ihnen schon: Einmal wollte ich schon noch mit Ihnen reden. Warum nicht jetzt? Aber unter einer Bedingung. Die Fragen stelle ich.«
Berndorf nickt. Franziska Sinheim dreht sich um und geht ihm voran zum Ausgang.
Sirrend macht die Wespe einen Anflug auf das, was sie für ein Stück Himmel hält.
Auf den Tischen in dem kleinen Tagescafé in der Nähe des Justizgebäudes liegen grob gewebte braune Decken. Franziska Sinheim hat sich für einen Platz in der Nähe des Fensters entschieden, das auf eine trübe, von Mülltonnen und rostfleckigen Autos gesäumte Nebenstraße hinaussieht. An den anderen Tischen sitzt
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