Die schwarzen Raender der Glut
sich beeilt, kann er noch sein Gepäck aus dem Hotel holen und den letzten Zug nach Ulm nehmen, lass den toten Troppau seinen toten Iren begraben, die Toten sind tot, und was aufzuklären wäre, ist verjährt, vergessen, unauffindbar . . .
»Haben Sie, Verehrtester, eigentlich schon einmal die Irish Connection überprüft?«, fragt Volz. »Brian O’Rourke war Ire, Dubliner, wenn ich mich recht erinnere, das war damals doch kurz nach dem Bloody Sunday von Londonderry, die IRA war fast wehrlos überrascht worden und musste aufrüsten ... vielleicht war O’Rourke Waffenaufkäufer, und die Mannheimer Polizei hat nichts weiter als einen Hinweis des britischen MI 5 exekutiert, im Wortsinne . . .«
Berndorf nickt: »In ihrer ersten Stellungnahme am Tag danach hat die Polizeiführung etwas anklingen lassen, das in diese Richtung weist.« Die Pressekonferenz hatte der damalige Mannheimer Polizeidirektor gehalten, aber an seiner Seite hatte ein unauffälliger Mensch aus dem Stuttgarter Innenministerium gesessen, und der Polizeidirektor hatte immer wieder neben sich schauen müssen, ob der Mensch aus Stuttgart auch nichts missbilligt. So jedenfalls hatte ein Kollege es Berndorf erzählt. »Ich selbst war sofort beurlaubt worden und von den Ermittlungen ausgeschlossen. Aber zufällig weiß ich, dass
keinerlei Hinweise auf eine Verbindung zur IRA gefunden wurden. Der baden-württembergische Innenminister hat das wenig später gegenüber dem irischen Generalkonsul auch mit dem Ausdruck des Bedauerns klargestellt.«
Und der Mannheimer Polizeidirektor hatte aus Stuttgart einen weiteren mächtigen Rüffel kassiert – für das, was ihm die Stuttgarter eingeflüstert hatten. Längst liegt Aktenstaub darüber.
»Ich koch uns jetzt einen Tee«, hört Berndorf die Ehefrau Edeltraud sagen. »Und Rüdiger überlegt sich, wie das damals war. Das, wenigstens, sind wir Fränzchen schuldig.«
Birgit Höge ist einmal ums Karree gefahren. Jetzt steht der Wagen wieder unter der Sequoia, in der Straße ist es still, sie könnte endlich einmal den Artikel zu Ende lesen, aber sie hat Hunger, zuletzt hat sie in der Pause vom wässerigen Kollegiums-Kaffee getrunken und einen Keks gegessen, den ihr Rehlein angeboten hat, die schwänzelt ja auch so um Hubert herum. Bei Chefarzts wird jetzt wohl ein später, sommerlich leichter Imbiss gereicht, Mama dürfte es kaum entgangen sein, dass wir ein wenig auf Bettinas Figur Acht geben sollten, vielleicht ein geräuchertes Forellenfilet an Meerrettich-Sauce, getoastetes Weißbrot, ein Schälchen Salat in Yoghurt-Dressing. . .
Ach Scheiße, warum fahr ich nicht ins Städtchen runter und werf an einem Kiosk einen Döner ein oder eine Bratwurst? Dann seh ich’s ja, wenn Hubert vorbeikommt. Oder sein Pummel.
Der Tee ist heiß und kräftig und tut gut gegen die Hitze draußen, Volz zündet sich die nächste Roth-Händle an und die Ehefrau etwas, das wie ein leichtes Zigarillo aussieht.
»Ich war damals, 1972, Chef des Feuilletons beim Aufbruch « , sagt Volz, »vielleicht erinnern Sie sich, der Aufbruch war eine von den wenigen sozialdemokratischen Kümmerpostillen, die es damals noch gab, letzte Mohikaner im Kampf
für das Menschenrecht und die Leitlinien des Parteipräsidiums ...«
Berndorf erinnert sich.
»Das Feuilleton bewohnte einen eigenen Verschlag und verfügte über eine Olympia-Schreibmaschine, zwei Regale für die Rezensionsexemplare, eine Schere und einen Leimtopf für die Überschriftenzettel, was alles ich nach Kräften dazu nutzte, unseren Abonnenten aus den Ortsvereinen in Käfertal und Seckenheim und anderswo die Grundbegriffe einer revolutionären Ästhetik nahe zu bringen.«
Er nimmt einen Schluck, um der angespannten Stimme aufzuhelfen. Das hilft dir nicht, denkt Berndorf, es ist das Lungenemphysem.
»Schreiend komisch, aus heutiger Sicht«, fährt Volz fort. »Und doch. Es lag etwas in der Luft, damals, und mein kleiner Verschlag war eine – nun, revolutionäre Zelle wäre zu viel gesagt, aber ein Kristallisationspunkt waren wir doch, ich fand Mitarbeiter, die zuvor und danach nie auf den Gedanken gekommen wären, für ein solches Blättchen zu schreiben, und alle träumten wir von einem neuen, linken, aufgeklärten Journalismus, wollten mit Willy mehr Demokratie wagen , Heine und Tucholsky auch für Oggersheim . . .«
Aber ein Heine hat nicht für euch geschrieben, und auch kein Tucholsky, geht es Berndorf durch den Kopf. Das weiß er, weil er sich den Aufbruch
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