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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Gerichtskundschaft, ein Anwalt erklärt halblaut seinem Mandanten, wie er vielleicht doch noch davonkommt, mit nur halb geschorenem Fell.
    »Zu Hause ginge es nicht«, erklärt Franziska. »Ich könnt es nicht ertragen, dass Sie auch nur einen Schritt . . .«
    Die Bedienung bringt zwei Portionen Kaffee. Berndorfs Kännchen ist zu voll eingeschenkt, dünne Brühe schwappt über. Sie schenken sich ein, beide nehmen weder Milch noch Zucker. Franziska lässt die Tasse stehen. Sie stützt die Arme auf dem Tisch auf und faltet die Hände. Sie hat schlanke oder magere Arme, eine Frage der Definition. Sie trägt keine Ringe. Ein Armreif mit blauroten Granatsteinen rutscht an ihrem rechten Unterarm bis fast zum Ellenbogen. Graue ruhige Augen unter gesträubter grauer Mähne nehmen Berndorf ins Visier.
    »Zur Klarstellung. Für diesen Einsatz waren Sie verantwortlich?«
    »Ja.« Was immer das heißt. Gar nichts heißt es. Frag die Politiker.
    »Sie hatten auch die Zuständigkeit dafür?«
    Berndorf zögert. »Ja und nein.« Das ist keine Antwort. »Nach dem Überfall auf den Transport der Landeszentralbank wurde eine Sonderkommission gebildet unter Einbeziehung von Experten des Bundeskriminalamtes. Die Experten wurden erst am Morgen erwartet.«
    »Das heißt, Sie haben eigenmächtig gehandelt?«
    »In meinem Disziplinarverfahren ist mir das zum Vorwurf gemacht worden.«
    »Und?«

    »Es wurde akzeptiert, dass nach dem Anruf Gefahr im Verzuge war. Ich meine den Anruf, in dem auf Ihre Wohnung hingewiesen wurde.«
    »Haben Sie diesen Anruf selbst entgegengenommen?«
    »Nein. Ein Beamter in der Zentrale hat das getan.«
    »Was genau wurde in diesem Anruf mitgeteilt?«
    »Dass einer der Täter keine Frau sei, wie es der Rundfunk berichtet habe, sondern ein Mann mit langen Haaren. Ein Mann mit einer Silberkette. Dass er sich in einer Wohnung in Mannheim-Feudenheim aufhalte. Es folgte die Adresse. Dritter Stock rechts.« Halt, denkt Berndorf. Das ist nicht exakt. Irgendetwas ist zu kurz dargestellt. »Und noch etwas. Eine Frau sei bei ihm.«
    Keine Reaktion. »Wurde etwas über diese Frau gesagt?«
    »So viel ich weiß: nein.«
    »Ist der Anruf aufgezeichnet worden?«
    »Nein. Das Tonbandgerät war defekt.«
    »Was wissen Sie über den Anrufer?«
    »Nichts. Der Beamte in der Zentrale sagte mir, die Person habe klare präzise Angaben gemacht. Nicht betrunken, keine Drogen, nicht hysterisch.«
    »Sie sprechen von einer Person. Ist damit eine Frau gemeint?«
    »Nicht unbedingt. Ob Mann oder Frau – eine Person hat angerufen. Polizistendeutsch.« Warum hast du nicht nachgefragt? Weil es dir nicht schnell genug ging, du Narr, ins Unglück zu rennen.
    »Ist die Person später ermittelt worden?«
    »Nein.«
    »Wer hat die Polizisten eingeteilt, die in meine Wohnung eindringen sollten?«
    »Ich.«
    »Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie den Mann ausgesucht, der mit Ihnen zu meiner Wohnungstür gehen sollte?«
    »Ich habe Troppau ausgesucht, weil er als besonders ruhig und besonnen galt.«
    Franziska lässt die Arme sinken. »Wenn das der Besonnenste
war, müssen Sie ja eine lustige Truppe beisammengehabt haben. Lauter Zwangsneurotiker und Hyperaktive, wie?«
    Berndorf nimmt einen Schluck brauner Brühe. Nächste Frage. »Warum hat Troppau geschossen?«
    Warum sitzen wir hier? »Das hat nicht einmal er selbst gewusst. Ich denke, dass er auch deshalb die Selbstanzeige erstattet hat. Er wollte bestraft werden, damit er seine Schuld begreifen konnte.«
    »Sülzen Sie nicht. Warum hat er Ihrer Ansicht nach geschossen?«
    »Eine Fehlreaktion. Die Tür wird ihm vor der Nase zugeschlagen, er will die Waffe dazwischenschieben, drückt stattdessen ab. Vielleicht auch Panik. Vielleicht war der Druckpunkt des Abzugs seiner Waffe zu gering eingestellt. Alles Punkte, die man hätte klären müssen.«
    Er überlegt. Ein heikler Punkt. »Er ist – er war in sehr engen Verhältnissen aufgewachsen, kleinbürgerlich, bigott erzogen. Möglich, dass ihn der unerwartete Anblick eines Nackten schockiert hat, vielleicht war es für ihn die Konfrontation mit einer verbotenen, tabuisierten Welt . . . Ach Unsinn. Ich habe keine Erklärung. Ich weiß es einfach nicht.« Zu vieles, das eine Rolle spielen könnte. Der Flüchtlingstreck. Die Russen. Das Schweigen danach. Gehört nicht hierher. Die Justiz hätte es klären müssen. In einem ordentlichen Strafverfahren mit Sachverständigen und Gutachtern. Jeder 17-Jährige, der einer Oma die Handtasche wegreißt,

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