Die schwarzen Raender der Glut
bittet die Besucherin herein und führt sie auf die Terrasse, der Professorin folgt ihr Assistent, etwas verwundert registriert Birgit, dass das kein junger Mann mehr ist, sondern aus dem Assistentenalter schon lange heraus. Sie setzen sich um den gedeckten Tisch, Birgit schenkt den Tee ein, die Professorin lehnt Zucker und auch Kandis dankend ab, nimmt aber gerne vom englischen Gebäck. Und die Zuckerdose wird von der Professorin gar nicht erst an ihren Senior-Assistenten weitergereicht, der aber den Tee gleichfalls ungesüßt nimmt. Da sind zwei doch sehr miteinander vertraut, denkt Birgit.
Man plaudert über den schönen Tag und über Heidelberg und sucht nach gemeinsamen Bekannten, mit von Tressen-Kositzkaw bietet sich der erste schon an.
»Bei einem so reizenden Besuch«, sagt Birgit, »sollte ich es Armand wirklich nicht übel nehmen, dass er Ihnen gesagt hat, wie ich zu finden bin. Trotzdem werde ich noch ein Hühnchen mit ihm rupfen. In seinem Beruf müsste er ein wenig verschwiegener sein, finden Sie nicht?«
Für einen unmerklichen Augenblick verdüstert sich ihr Gesicht. Klingt das jetzt so, als ob ich Patientin bei ihm bin?
»Das Hühnchen müssen Sie mit mir rupfen«, antwortet die Besucherin fröhlich, »ich habe ihn höchst indiskret nach Ihnen gefragt, Sie könnten auch sagen: ausgeforscht.«
Birgit ringt sich ein versöhnliches, silberhelles Lachen ab. Dann entdecken die beiden Damen, dass sie beide zu Beginn der Siebzigerjahre in Heidelberg studiert haben und sich eigentlich begegnet sein müssten. Als in der Alten Universität die Fensterscheiben barsten, war Birgit allerdings nicht dabei gewesen, auch nicht bei dem berühmten Mückenlocher Weiber-Wochenende der Revolutionären Studentinnen, als es um die Frage ging, was die sexuelle Befreiung denn – rein lustmäßig – für die Frauen gebracht habe . . .
»Nein«, sagt Birgit und nimmt, den kleinen Finger abgespreizt, einen Schluck Tee, »meine politische Sozialisation ist spät erfolgt, eigentlich bin ich gar keine richtige 68erin mehr. Und Feministin«, sie macht eine Pause und sieht mitleidsvoll zu dem Assistenten hin, »bin ich nie gewesen.«
Der Assistent blickt unbewegt zurück.
Die Professorin will wissen, wann Brigit für den Aufbruch zu schreiben begonnen hat.
»Wenn ich es noch recht weiß«, antwortet Birgit, die vorhin alles noch einmal nachgesehen hat, »begann das im Frühjahr 1972. Ich erinnere mich noch an einen meiner ersten Besuche in der Redaktion, es drängten sich alle im Fernschreibraum, Rüdiger – der Feuilleton-Chef Rüdiger Volz – hastete von einem Ticker zum anderen, in der einen Hand die Bierflasche, in der anderen die Roth-Händle, pass auf, Mädchen, sagte er zu mir, dies ist einer der Tage, an denen die Geschichte unserer Republik geschrieben wird . . .« Sie greift zur Teekanne und schenkt nach.
»Es war der Tag, an dem Barzels Misstrauensvotum gegen Brandt scheiterte«, fährt sie fort, »ich sehe noch, wie Rüdiger mich in die Arme nimmt und unter Tränen sagt: No pasaran! Heute haben wir gewonnen, wir alle. Und meine Nase steckt
in Rüdigers Pullover, dass ich schier ersticke in diesem Dunst von Bier und Zigarettenrauch . . .« Sie schüttelt sich. »Glauben Sie, heute wüsste einer meiner 17-jährigen Gymnasiasten noch, wer Willy Brandt war? Oder gar Barzel?«
Lächelnd deutet Barbara Stein Einverständnis an. »Wie haben Sie Dr. Volz kennen gelernt?«
Birgit hat die Teetasse in der Hand, zögert, und setzt die Tasse zurück. »So genau weiß ich das eigentlich gar nicht mehr. Wissen Sie, ich fand die Debatten in unseren studentischen Zirkeln schon damals ein wenig öde, auf schreckliche Weise deutsch und provinziell. Was in den französischen Blättern diskutiert wurde, schien mir intellektuell aufregender, spannender, geistvoller . . .« Ein nachsichtiges Lächeln tröstet die Besucherin über das intellektuell Unaufregende ihres rechtsrheinischen Universitätslebens hinweg.
»Ich dachte«, fährt Birgit fort, »das muss man doch auch deutschen Lesern zugänglich machen. Natürlich war es eine furchtbar alberne Idee, damit ausgerechnet zu einer sozialdemokratischen Vorstadtpostille zu gehen. Ich glaube, damals dachte ich wirklich, auch die Arbeiter in Mannheim und bei der BASF in Ludwigshafen hätten Anspruch, über Sartre und Godard und Michel Foucault Bescheid zu wissen.«
Barbara setzt noch einmal an. »Und so sind Sie zu Dr. Volz und haben ihm Ihre Artikel angeboten?«
Birgit
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