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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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überlegt. Ist Grassl bei seiner Begegnung mit dem Jungmann Lothar doch etwas stärker ramponiert worden, als dieser zugeben will? Tamar beschließt, in den Krankenhäusern anzurufen. In Wintersingen, in Reutlingen, vielleicht auch in Ehingen. Abschlussbericht hin oder her.
    Kuttler erscheint an der Wagentür. »Wir sind aus dem Spiel, nicht wahr?«
    Kühl und abweisend blickt Tamar hoch. Vielleicht haben wir da doch noch ein Wörtchen mitzureden, will sie antworten. Aber dann klingt ihr das doch zu zickig. Und zu großmäulig. Außerdem ist sie für einen Sekundenbruchteil irritiert. Irgendetwas hat, als sie zu Kuttler hochblickte, ihr Auge gestreift. Etwas, das aufgeblitzt war und sofort wieder verschwand.
    Sie lehnt sich im Wagen zurück, so dass ihr Gesicht im Schatten bleibt. Vor sich sieht sie den Dienstwagen, in dem Orrie noch immer oder schon wieder Fußball hört. Dahinter hat Tamar Kastanien im Blickfeld und immergrüne Büsche, und hinter den Kastanien erhebt sich bis zu dem Waldrand im Nordosten ein von der Sonne beschienener Hang.
    Tamar steigt aus und schaut nicht länger zu dem Waldrand hoch. Dort könnte, zum Beispiel, ein Kind stehen, das mit einem Handspiegel Sonnenlicht einfängt und Lichtflecke über die Hauswand und die Leute davor wandern lässt.
    Nur glaubt sie nicht, dass es ein Kind ist. Und auch nicht, dass es einen Handspiegel hat.
    »Vielleicht haben wir da doch noch ein Wörtchen mitzureden«, sagt sie zu Kuttler und findet sich überhaupt nicht großmäulig. »Kommst du mal mit?«
    Sie geht zu Orries Wagens und steigt auf der Beifahrerseite ein. Kuttler zwängt sich in den Fond. Orrie dreht den Zündschlüssel um. Dem Radiosprecher schnappt der Ton weg.
    »Und?«
    »Was soll schon sein«, sagt Orrie. »1:0. Für die anderen.«
     
    Der Adler hat zu, das Waldhorn ist eine Pizzeria, der Pfälzer Hof ein China-Restaurant und der tamilische Taxifahrer, den Barbara und Berndorf am Bismarckplatz aufgetan haben, am Ende seiner Ortskenntnis. Dunkel erinnert sich Berndorf an eine Eisenbahn-Restauration, ein trübseliges Lokal mit einem noch trübseligeren Nebenzimmer, wo er in grauer Vorzeit zwei- oder dreimal mit der Schachmannschaft des Polizeisportvereins angetreten war. Der Tamile findet auch glücklich die Restauration, sie hat geöffnet, ist frisch herausgeputzt, und innen hockt eine Stammtischrunde aus Männern, die schon leicht abgegriffen aussehen, aber einheimisch, und die den fremden Gast und vor allem seine Begleiterin durchaus zu sich an den Tisch einladen möchten.
    Berndorf bedankt sich und fragt höflich, ob jemand wisse, wo er den Vorstand vom Posaunenchor finden könne, und wie er es sagt, denkt er, dass das vielleicht ein bisschen blöd ankommt.
    »Oh!«, sagt einer aus der Runde, dem ein mächtiger violetter Erker aus dem Gesicht ragt, »Sie suchen einen Vorsteher, dem getutet und geblasen wird! Da sind Sie hier ganz recht. Vor allem vom Blasen haben wir viel Ahnung.« Und betrachtet eingehend Barbara, die kühl zurücklächelt.
    Ein zweiter teilt mit, dass ganz gewiss der Adler das Vereinslokal der Posaunisten sei, was von einem Dritten heftig bestritten wird. Das Waldhorn sei es, wie schon der Name sage.
    Berndorf beginnt, leise Verwünschungen auszustoßen unter besonderer Berücksichtigung spät berufener Detektivinnen, dann mischt sich die Bedienung ein und weiß, dass der Präsident des Posaunenchors im Neubaugebiet wohnt, weil er nämlich ihr ehemaliger Musiklehrer ist.
    Eine Viertelstunde später läuten sie an der Tür eines Bungalows im frühen Beamtenheimstätten-Stil, weiße Klinker, etwas zu dicht gepflanzte Koniferen davor, und nach einer Weile öffnet ihnen ein hagerer Mann in Hemdsärmeln und mit einer Brille, die so aussieht, als habe er vor jedem Auge doppelte Gläser.

    Barbara bittet artig, den nachmittäglichen Überfall zu entschuldigen, sie seien gerade dabei, das Vermächtnis eines nahen Verwandten zu ordnen, der unerwartet verstorben sei . . . Der Hagere ist zwar richtig Musiklehrer und Posaunenchor-Präsident, blickt aber so verständnislos, als solle ihm eine Illustrierte in Brailleschrift verkauft werden.
    »Und jetzt haben wir in seinen Papieren einen Zeitungsausschnitt gefunden«, fährt Barbara fort, »der ihm offenbar sehr wichtig war, nur wissen wir nicht, warum, denn von dem Ausschnitt ist nicht mehr viel da, nicht viel mehr als die Überschrift, es ist die Ankündigung eines Herbstkonzertes, einer musikalischen Weltreise, sonst können wir

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