Die schwarzen Raender der Glut
wo der Steig ins Tal führt. Da ist eine Absperrung davor, da sehen dann Ihre Leser, wie gefährlich es dort ist.« Schließlich zieht der Mensch ab, und Kuttler wendet sich Tamar zu, heftig mit dem linken Auge zwinkernd. »Du sollst Englin anrufen.«
Tamar überlegt. Den Kriminalrat? Am Samstag Nachmittag? Sie setzt sich zu Orrie in den Wagen, der pflichtbewusst das Autoradio abschaltet, ruft die Zentrale im Neuen Bau an und lässt sich mit der Roten Nummer verbinden, Englins Privatanschluss.
»Ja?« Unappetitlich nah knarzt die Stimme auf ihr Trommelfell. Tamar entfernt den Hörer um einiges von ihrem Ohr und meldet sich. »Ich sollte Sie anrufen.«
»Allerdings«, sagt Englin. »Allerdings sollten Sie das. Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass Herr Zundt eine Persönlichkeit des öffentlichen Interesses ist? Glauben Sie mir, er ist es.«
»Das ist mir durchaus bewusst«, antwortet Tamar. Während sie das sagt, sieht sie dem Journalisten zu, der sich mit seiner Kamera in der Auffahrt herumdrückt.
»Dann verstehe ich nicht, warum Sie mich nicht früher verständigt haben. Und warum Sie sich da draußen aufführen wie der Elefant im Porzellanladen.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Tamars Stimme schaltet auf Gefrierstufe. »Die Kollegen und ich führen unsere Ermittlungen so zurückhaltend wie möglich.«
»Wie ein Elefant, werte Kollegin.« Unfrohes Lachen kriecht aus dem Hörer. »Den Lärm hört man bis Stuttgart. Wie kommen Sie dazu, bei einem bedauerlichen, tragischen, aber unzweifelhaften Unfall kriminelle Hintergründe zu unterstellen? Haben Sie eine Vorstellung, was Sie damit anrichten?«
Tamar atmet kurz durch. Was heißt das: Den Lärm hört man bis Stuttgart? Dann versucht sie zu erklären, dass Gerold Zundt nicht im Straßenanzug den Franzosensteig hinabgegangen sein kann. Dass im Übrigen die kriminellen Hintergründe so offen dalägen, wie es die Tür des Zundt’schen Tresors gewesen sei. Während sie das alles sagt, hat sie das fatale Gefühl, dass es ziemlich dünn klingt.
»Ziemlich dünn, finden Sie nicht?«, hört sie Englin sagen. »Ein Mann fällt einen Abhang hinab und ist tot. Sehr bedauerlich. Aber das Dezernat Kapitalverbrechen geht das so lange einen feuchten Kehricht an, solange Sie mir nicht darlegen, dass und warum jemand diesen Mann hinuntergestoßen haben soll.«
Tamar wendet ein, auf dem Steig habe es noch andere Spuren gegeben. Spuren von Leuten in Stiefeln.
»Und die haben den Herrn Zundt in die Tiefe gestoßen, ja?
Das können Sie belegen?« Hohn träufelt aus dem Hörer. »Ich sage Ihnen jetzt, was Sie tun. Sie schreiben Ihren Bericht über den Unfall und dass Sie keinen Hinweis auf ein Fremdverschulden haben, denn der Straßenanzug des Herrn Zundt ist ein solcher mitnichten. Wenigstens das hätte man Ihnen auf der Fachhochschule beibringen können.«
»Sie vergessen den Tresor«, antwortet Tamar und zwingt sich, ruhig zu bleiben. »Und die Unterlagen, die daraus entwendet worden sind. Ich meine, wir sollten die Spurensicherung zuziehen.«
Die Stimme bleibt unbeeindruckt. »Welchen Hinweis haben Sie denn, dass dieser Tresor nicht von dem Herrn Zundt noch zu seinen Lebzeiten ausgeräumt worden ist? Ich finde, wir sollten der Witwe erst einmal so viel Zeit lassen, dass sie nachsehen kann, ob überhaupt etwas entwendet worden ist. Vielleicht liegen die kostbaren Papiere in der Ablage auf dem Zundt’schen Schreibtisch. Hat es alles schon gegeben. Wenn aber tatsächlich etwas fehlt, können wir ja neu entscheiden. Vielleicht werden dann weitere Ermittlungen stattfinden. Vertrauliche, diskrete Ermittlungen. Aber erst dann, wenn wir griffigere Hinweise haben als die Ledersohlen des Herrn Zundt. Haben Sie mich verstanden?«
Tamar schweigt.
»Ob Sie mich verstanden haben?«
»Sie werden meinen Bericht erhalten. Und Sie werden ihm entnehmen können, warum ich weiterhin von einem Fremdverschulden überzeugt bin.«
Als sie den Hörer aufgelegt hat, bleibt Tamar noch im Wagen sitzen. Warum hab ich ihm nichts von dem demolierten Auto gesagt? Weil es nichts mit Zundts Tod zu tun hat. Und was ist mit dem anderen Wagen, dem BMW mit dem Stuttgarter Kennzeichen? Den Lärm hört man bis Stuttgart , hat Englin gesagt. Also hat man ihn von dort aus alarmiert. Bisschen viel Landeshauptstadt.
Sie wendet sich zur Tür, und ihr Blick fällt auf den rostlaubigen Golf. Was tut überhaupt dieser Herr Grassl, wenn er keinen
Liebespaaren nachstellt, und wo befindet er sich jetzt? Sie
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