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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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aus.
    »Also haben Sie ihm doch geglaubt«, sagt Barbara in die Stille. »Sie haben ihm abgenommen, dass er nicht hinter dem Geld her war.«
    Steffens schweigt. Unvermittelt steht er auf, geht in den Empfangsraum und macht sich an dem Computer zu schaffen. Ein Drucker läuft leise ratternd an.
    Dann kommt Steffens zurück und legt den Abzug auf den Schreibtisch, sodass Barbara und Berndorf ihn sehen können. Die Schlagzeile: Mannheim, Juni 1972 ist in 30 Punkt Univers gesetzt.
    »Da liest keiner drüber weg. Sie können es natürlich auch als Textanzeige haben. Fällt noch mehr auf. In der nächsten Ausgabe stellen wir die neuen Spieler beim SV Waldhof vor, und dann gibt es eine sehr schöne Geschichte über ein Jugendzentrum, mit Steuermitteln neu hergerichtet und ausgestattet. Jetzt ist es fest in der Hand von Skinheads. Neulich sind sie herausgestürmt und haben zu zwölft einen Griechen halb totgeschlagen. In der Heimatzeitung lesen Sie so was nicht.«
    »Keine Filmkritik?«, fragt Barbara.
    »Mit Micha ins Kino«, antwortet Steffens. »Kein sehr fetziger Kolumnentitel. Wird aber gerne gelesen.«
    »Blocken Sie die Anzeige in die Glatzen-Geschichte ein, zweispaltig«, sagt Berndorf und holt sein Scheckbuch heraus,
denn als Textanzeige wird es noch ein bisschen teurer. Außerdem legt er seine Visitenkarte dazu. »Falls Ihnen doch noch was einfällt.«
    »Und die Belohnung? Rein theoretisch gefragt.«
    »Verhandlungssache. Praxisbezogen, wenn Sie so wollen. Wo haben Sie eigentlich die Narben her?«
    »Welche Narben?«
    »Auf Ihrem Arm.«
    »Ach das«, antwortet Steffens. »Nicht der Rede wert. War mal in einem brennenden Wagen. Aber ich bin wieder herausgekommen.«
    Steffens geleitet die späten Besucher zur Tür. Draußen wartet der Tamile im Taxi und hört versonnen zu, wie jemand im Radio herumstottert.
    »Deutsche Trainer«, erklärt er dann. »Er treten zurück.«
     
    Silbergelocktes Haar, täglich neu geföhnt. Stotternd wird – »ja, gut« – Verantwortung übernommen. Daneben der Mann mit der Nase, die so aussieht, als habe er einmal einen Elfmeter damit gehalten. Die nächste Roth-Händle. »Neuanfang«, sagt der Mann mit der Nase. Die Nase lässt das Neuahnfang noch eine Spur nasaler, stuttgarterischer klingen.
    Mit dir wohl nicht, denkt Florian Grassl und drückt auf die Zappe. Er sitzt vor einem Computer im Bibliothekszimmer der Suevo-Danubia, zwischen wandhohen dunkel gebeizten Regalen, die mit den hinterlassenen Buchbeständen verstorbener Alter Herren bestückt sind, und denkt über den Vortrag nach, den er am Dienstag vor den Füchsen halten will. Er hat zwar keine Unterlagen dabei, und unter den Hinterlassenschaften der Alten Herren findet sich Literarisches eher nicht. Aber für eine Plauderei über Oskar Wöhrle oder Friedrich Lienhard wird es reichen, denkt Grassl, so genau muss das nicht sein, wer kennt diese Leute denn noch! Wie er das denkt, fällt ihm auch ein Titel ein, Hans im Schnookeloch und seine vergessenen Brüder wird er seinen Vortrag nennen, ausbaufähig klingt das, er wird nicht nur vor der Suevo-Danubia damit
auftreten können. Während er das denkt, muss er wieder an die zugepflasterte Augenbraue tupfen, nächste Woche wird er sich die Fäden ziehen lassen, bis dahin besser keine nächtlichen Spaziergänge! Morgen will er ohnedies arbeiten, stressfrei, schließlich hat er den ganzen Sonntag zur ungestörten Verfügung, an den Wochenenden ist kaum jemand im Verbindungshaus, und am Montag wird er in der Landesbibliothek in Stuttgart nachschlagen, was ihm noch fehlt und was er nicht mehr genau im Gedächtnis hat, denn den Montag muss er sowieso irgendwie in Stuttgart herumbringen . . .
    Es ist kurz vor 20 Uhr, er hat das Regionalprogramm eingestellt, auf dem Bildschirm erscheinen die Landesnachrichten. Grassl stellt den Ton lauter, aber viel ist nicht passiert im Ländle, denn auch hier haben sie kein wichtigeres Thema als die Europameisterschaft und das Ausscheiden der Nationalmannschaft. Er greift schon nach der Zappe, als auf dem Bildschirm etwas erscheint, das wie ein zerknülltes gebrauchtes Laken aussieht. Grassl hält verblüfft inne, denn bei dem zerknitterten Laken handelt es sich um das Gesicht von Gerolf Zundt.
    »Wieshülen, Alb-Donau-Kreis«, sagt die Nachrichtensprecherin, »Gerolf Zundt, der langjährige Leiter der Johannes-Grünheim-Akademie, ist tot. Nach Angaben der Polizei ist der 68-Jährige am Freitag bei einem Spaziergang am Albtrauf abgestürzt und hat

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