Die schwarzen Raender der Glut
verklemmt gewesen, nicht hinzugehen, und soweit ich mich erinnere, war auch ein ganzer Haufen Leute da, Schatte, wie immer mächtig am Agitieren, Rüdiger und seine Edeltraud,
der wir alle ein wenig verdächtig waren, natürlich allerhand Tunten . . . Busse war etwas geknickt, weil er seinen neuesten Knaben im Badezimmer mit einem Pizzabäcker aus dem Waldhof angetroffen hatte, aber er war sehr tapfer und fest entschlossen, sein Sommerfest nicht zu schmeißen. Franziska war nicht da, die hatte kurz davor ihren Iren kennen gelernt. . . Ja, was will ich Ihnen eigentlich erzählen?«
»Birgit Höge, oder Schiele, wie sie damals hieß, war nicht dabei?«, fragt Barbara.
»Der Name sagt mir nichts mehr.«
»Sie hat für Volz Artikel aus dem Französischen übersetzt.«
»Dann war sie vermutlich eine der abgelegten Freundinnen von Schatte. Moment. Dunkle schulterlange Haare? Ein bisschen ein Hamstergesicht? Schiele, ja doch, ich erinnere mich. Aber auf dem Sommerfest sehe ich sie nicht.«
»Sie haben dann weitergetrunken?«
»Ich glaube nicht«, kommt es über den Tisch. »Ich erinnere mich, dass mir eine der Tunten einen Topf Kaffee gekocht hat. In meinem Kopf hatte sich die Vorstellung festgesetzt, Franziska würde bald genug von diesem irischen Bierverkäufer und Immobilienfuzzi haben, vielleicht würde es sogar schon in dieser Nacht sein, und sie käme doch noch zum Sommerfest, und wir würden reden können . . . Was sich ein besoffener Kopf so alles vorlügt.«
Er schweigt. Berndorf und Barbara warten.
»Es ging dann gegen Morgen, irgendjemand brachte Busse dazu, den Polizeifunk einzustellen, er hatte ein Gerät, auf dem das ging. Heute wäre das wohl nicht mehr möglich. Ich höre noch das Rauschen und Knistern.« Steffens macht eine Pause, als müsse er sich die Szene in Erinnerung rufen.
»Ich saß auf einem Kissen auf dem Boden«, fährt er fort, »und hab mich an einem Becher Kaffee festgehalten, eine große runde Papierlampe baumelte mir vor der Nase, im Zimmer waberte der Geruch von Gras, an den Wänden hingen Aktzeichnungen, lauter Rückenansichten von irgendwelchen Knaben, eine der Tunten redete auf mich ein, Junge, du musst auch was
essen. Ich dachte an Franziska und dass sie mit dem Iren vögelt, der weiß doch gar nicht, wie sie es haben will, viel zu verklemmt sind diese Leute von der Insel, so ging es durch den Nebel in meinem Kopf. Dann kam eine Durchsage und noch eine, plötzlich hörte ich Franziskas Adresse, richtig, sie ist ja zu Hause mit diesem verdammten Iren, dachte ich noch, und dann brach in dem Radio das Chaos aus und ein unglaublicher Krach, irgendjemand schrie, es habe Schüsse gegeben, einer rief den anderen, Martha drei ruft Martha fünf und Martha sieben ruft Martha drei, pausenlos, wir alle waren auf den Beinen, oder die meisten von uns, und standen um das Radio herum, und plötzlich kam eine kalte ruhige Stimme und hat einen Notarzt angefordert, und wenig später einen zweiten: Wir haben eine Frau hier, mit schwerem Schock . . .«
Micha Steffens macht eine Pause, steht auf und geht zu einem altersschwachen Kühlschrank. »Ich brauch ein Bier. Wollen Sie auch eines?« Berndorf lehnt dankend ab, aber Barbara hat nichts dagegen und kommt auch ohne ein Glas zurecht. Steffens holt zwei Flaschen und öffnet sie und drückt eine davon Barbara in die Hand.
»Diese kalte Stimme«, fährt Steffens fort, nachdem er seine Kehle angefeuchtet hat, »habe ich heute wieder gehört. Ist es nicht so?«
»Kann schon sein«, sagt Berndorf. »Wie ging die Party weiter?« Eine Weile lang schweigt Steffens. Sein Gesicht ist im Halbdunkel verborgen, seine rechte Hand liegt auf dem Tisch, der Lichtschein beleuchtet kräftige Armmuskeln und mehrere Narben, die sich wie eine Kette ungleichförmiger Verätzungen über seinen Unterarm ziehen. »Schatte hat versucht, in Franziskas Wohnung anzurufen«, sagt er schließlich. »Er hat dann aber sofort wieder aufgelegt, ganz blass im Gesicht. Die Polizei ist wirklich dort, höre ich ihn sagen. Und damals hab ich gedacht ... ach, das spielt jetzt keine Rolle mehr. Wir haben diskutiert, ob wir hinfahren sollen, und Busse hat gesagt, er macht das sowieso, es ist sein Job.«
»Sie sind aber nicht hin?«
»Nein«, kommt zögernd die Antwort. »Ich bin nach Hause gefahren, und habe ein paar Stunden geschlafen. Am Abend bin ich nach Frankfurt und mit dem Flieger nach Spanien an die Costa del Sol.« Er zuckt mit den Achseln. »Den Urlaub und den Flug hatte ich
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