Die Schwarzen Roben
Pilgerfahrt befand, um die weniger wichtige Gottheit zu beschwichtigen, die er angeblich beleidigt hatte. Sie mischten sich in die Menge, die nachmittags die Straßen von Kentosani bevölkerte.
Zu Fuß – statt wie sonst in einer Sänfte – und zum ersten Mal in seinem Leben nicht von einer Ehrengarde umgeben, bemerkte Hokanu schnell, wie sehr sich die Heilige Stadt verändert hatte, seit der Kaiser den Hohen Rat entmachtet und die absolute Herrschaft errungen hatte. Die Lords und Ladys großer Häuser reisten nicht mehr mit einer schwerbewaffneten Abteilung von Kriegern, da beständig Kaiserliche Weiße durch die Straßen patrouillierten, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Während die Hauptdurchgangsstraßen auch früher schon sicher gewesen waren, obwohl es auf ihnen von Menschen, Tieren und Wagen gewimmelt hatte, waren die dunkleren, engen Seitenstraßen, in denen die Arbeiter und Bettler hausten, oder die nach Fisch stinkenden Gassen hinter den Lagerhäusern am Hafen keine Orte gewesen, an die sich ein Mann oder eine Frau ohne bewaffnete Eskorte hätte wagen dürfen.
Und doch hatte Arakasi sich in diesen schummrigen Gäßchen und Wegen bereits ausgekannt, bevor Ichindar das Amt des Kriegsherrn abgeschafft hatte. Er führte sie einen verschlungenen Weg entlang, durch feuchte, moosbewachsene Säulengänge, zwischen Mietshäusern hindurch, die so dicht beieinanderstanden, daß kein einziger Sonnenstrahl zwischen ihnen auf den Boden fallen konnte, und einmal sogar durch einen übelriechenden, müllverstopften unterirdischen Abwasserkanal.
»Warum ein so umständlicher Weg?« fragte Hokanu, während sie einmal haltmachten und eine Horde kreischender Straßenkinder auf der Jagd nach einem klapperdürren Köter an ihnen vorbeiraste.
»Gewohnheit«, erklärte Arakasi. Das qualmende Rauchfaß schwang in Kniehöhe hin und her, doch der Weihrauch konnte den Gestank, der aus der Gosse aufstieg, nur teilweise überdecken. Sie gingen an einem Fenster vorbei, an dem ein verhutzeltes Mütterchen saß und mit einem Knochenmesser eine Jomach schälte. »Die Herberge, in der wir die Tiere gelassen haben, ist eigentlich ein ehrliches Haus, doch es wimmelt dort von Klatschmäulern, die irgendwelche Neuigkeiten aufschnappen wollen. Ich wollte verhindern, daß man uns folgt; als wir von dort aufbrachen, war uns ein Diener der Ekamchi auf den Fersen. Er hatte unsere Pferde am Haupttor gesehen und sofort gewußt, daß wir zum Haushalt der Acoma oder der Shinzawai gehören.«
»Haben wir ihn abgeschüttelt?« fragte Hokanu.
Arakasi lächelte dünn; seine Hand schien segnend über dem Haupt eines Bettlers zu schweben. Der Mann hatte einen irren Blick und murmelte pausenlos vor sich hin. Offensichtlich hatten ihn die Götter berührt. »Wir haben ihn tatsächlich abgeschüttelt«, erklärte der Supai, während er das Rauchfaß schwang.
Weihrauchschwaden zogen durch die Luft. »Anscheinend wollte er seine Sandalen nicht in der Abfallgrube ruinieren, die wir zwei Blöcke von hier durchquert haben. Er ist drumherum gegangen, hat uns für einen Augenblick aus den Augen verloren …«
»Und wir sind den Kanal entlanggewatet«, ergänzte Hokanu kichernd.
Sie passierten den geschlossenen Laden eines Webers und rasteten kurz bei einem Bäcker, wo Arakasi ein Brötchen kaufte und damit begann, San-Marmelade im Zickzack auf der gebutterten Oberseite zu verteilen. Der Bäcker erwartete noch andere Kundschaft und gab seinem Lehrling ein Zeichen, den vermeintlichen Priester und den Büßer in ein durch einen Vorhang abgeteiltes Hinterzimmer zu führen. Einige Minuten später tauchte der Bäcker auf. Er beäugte seine beiden Besucher genau und sagte schließlich zu Arakasi: »Ich habe Euch in diesen Gewändern nicht erkannt.«
Der Supai leckte sich die letzten Marmeladenreste von den Fingern. »Ich brauche Informationen. Dringend. Es geht um einen auffällig gekleideten Gewürzhändler. Er trug Metallschmuck und hatte barbarische Träger. Könnt Ihr ihn finden?«
Der Bäcker wischte sich den Schweiß von seinen wabbeligen Hängebacken. »Falls Ihr bis zum Sonnenuntergang warten könnt, wenn wir die Teigreste für die Bettlerkinder auf die Straße werfen, könnte ich Euch eine Antwort geben.«
Arakasi wirkte verdrosssen. »Zu spät. Ich brauche Euren Botenläufer.« Wie durch Zauberei hielt er plötzlich eine Pergamentrolle in der Hand. Vielleicht hatte der Supai sie die ganze Zeit in seinem Ärmel versteckt gehabt, dachte Hokanu, war sich
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