Die Schwarzen Roben
jemals getan haben. Selbst in den Anfängen des Kaiserreichs, als unsere zwei Rassen den Vertrag schmiedeten, der sie noch immer bindet, versuchte kein tsuranischer Lord so etwas.«
Mara wölbte die Brauen. Sie hatte keine einzige Pergamentrolle gesehen, in der von einer formalen Vereinbarung zwischen den Cho-ja und den Menschen die Rede gewesen wäre. Die Beziehung zwischen den Tsurani und den Cho-ja wurde von Traditionen diktiert, hatte sie immer angenommen, so wie alle anderen Aspekte ihres Lebens und ihrer Kultur. Und doch reichten die Nationen weit zurück in die Geschichte; wie die Königin sie taktvoll erinnerte, war das menschliche Gedächtnis nicht sehr weitreichend. »Ich habe niemals etwas von einem solchen Vertrag gehört. Könnt Ihr mir mehr darüber sagen?«
Die gewaltige Form der Königin war so reglos, daß sie auch ein in schwarzen Lack gegossenes Monument hätte sein können »Das ist verboten.«
Vor Erstaunen vergaß Mara die unirdische Ruhe und die erstarrte Haltung der brütenden Arbeiter. Ihre Worte hallten. »Verboten? Von wem?«
»Das ist verboten.«
Der peitschende Tonfall der Königin versetzte Mara in Schrecken. Wenn sie unhöflich gewesen war, hatte man sie trotzdem noch nicht aus der königlichen Kammer verwiesen. Lujans Hände waren weiß von dem Druck um den Speerschaft, doch die Krieger der Königin blieben weiterhin gelassen. Bereit, ein Risiko einzugehen, hielt Mara sich an die Möglichkeit, daß die Zurückhaltung der Königin von einer äußeren Ursache herrührte. Soviel sie herausgefunden hatte, besaßen die Cho-ja keine Religion, keinen Glauben an Götter oder Kräfte jenseits der irdischen Natur. Wenn das Verbot nicht vom Himmel kam, was blieb dann? Die Traditionen? Mara verwarf diese Idee; die Cho-ja waren nach menschlichem Maßstab Kaufleute, wenn es um Beziehungen ging. Ihre Beständigkeit gründete sich mehr auf die Einigkeit des Schwarms als auf Gewohnheiten. Ein geheimer Eid schien ebenfalls nicht wahrscheinlich, da das Bewußtsein des Schwarms ein solches Konzept zurückwies: Privatheit war nur zwischen Individuen möglich.
Mara wählte ihre Worte mit Bedacht. »Was ist mit den Cho-ja, Königin? Wie ist die Geschichte Eurer Rasse?«
Die Königin klickte mit den Vorderklauen; eine Antwort auf einen unbegreiflichen Impuls. Wenn nicht ihre Arbeiter wie gebannt dagestanden hätten, hätte es sich ihrem Ton nach auch um eine gewöhnliche Unterhaltung handeln können. »Wir stammen vom Anfang, wie jede Rasse, entwickelten uns und reicherten Wissen an. Es gab, vor Jahrhunderten, eine Zeit, als wir sehr einfach lebten. Wir waren eine von vielen intelligenten Rassen, die ihren Platz auf einer reichen Welt suchten und die sich, als die Menschen zum ersten Mal kamen –«
»Die Goldene Brücke?« unterbrach Mara. Sie versuchte einzuflechten, was sie vom Ursprung ihres eigenen Volkes wußte.
»So sagt es unsere Geschichte«, erklärte die Königin. »Die Augen der Cho-ja waren keine Zeugen der Ankunft, doch an dem einen Tag waren die Menschen nicht da, und am anderen Tag lagerte eine Nation von Flüchtlingen am Ufer in der Nähe des Ortes, den Ihr Stadt der Ebene nennt.«
Mara konnte ihre Erregung kaum zügeln. »Ihr kennt Geschichten aus der Zeit vor der Goldenen Brücke?«
»Geschichten?« Die Königin zuckte mißbilligend mit einem ihrer Gliedmaßen. »Eure Worte scheinen eine Übertreibung zu beinhalten oder eine Verschwörung, die auf ungenügender Erinnerung gründet. Bitte fühlt Euch nicht verletzt durch meine Direktheit, aber unseresgleichen braucht für die Nachwelt nicht zu dramatisieren. Wir erinnern uns.«
Mara spürte ihr Herz rasen. »Wollt Ihr damit sagen, daß Ihr diese Berichte im Bewußtsein des Schwarms habt?« fragte sie. Sie tastete sich vorsichtig heran, denn sie spürte, daß es hier um etwas Besonderes ging. »Oder könnt Ihr Euch richtig entsinnen, als würdet Ihr mit den Augen Eurer Ahnen sehen?«
»Wir haben ein Bewußtsein, wie ein Wesen.« Auf ein nicht erkennbares Zeichen der Königin hin machten sich die Arbeiter wieder eifrig daran, ihre Aufgaben auszuführen. »Was von einem von uns erlebt wird, teilen alle, außer wenn einer abseits von allen anderen in der Isolation stirbt.«
Mara war erleichtert, daß es wieder um ein weniger heikles Thema ging, und sie dachte darüber nach. Sie hatte schon lange gewußt, daß Nachrichten mit unglaublicher Geschwindigkeit einen anderen Stock zu erreichen schienen, doch selbst in ihren wildesten
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