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Die Schwarzen Roben

Die Schwarzen Roben

Titel: Die Schwarzen Roben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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anzuschreien, ihn zu fragen, welche Art von Gerechtigkeit in einer Welt herrschte, in der kleine Jungen vor den Augen ihrer Mütter starben.
    Die Flammen knisterten und reckten sich dem Himmel entgegen, dann legten sie sich dumpf fauchend über den Scheiterhaufen. Das behandelte, ölgetränkte Holz ersparte den Anblick des toten Jungen, der sich in der Umarmung des Feuers wand und schwarz wurde. Doch Mara schaute zu, Entsetzen in jeder Faser ihres Körpers. Ihre Einbildungskraft erfand, was im Zentrum einer Helligkeit lag, die zu blendend zum Hinsehen war; ihr Geist versorgte sie mit den Schreien, die der Junge niemals ausgestoßen hatte.
    »Ayaki«, flüsterte sie. Hokanus Griff verstärkte sich deutlich genug, um sie an die reglose Maske zu erinnern, die von ihr als Guter Dienerin des Kaiserreiches in öffentlicher Trauer erwartet wurde. Doch die Anstrengung, ihre Gesichtszüge unbeweglich zu halten, war groß genug, sie zum Zittern zu bringen.
    Lange Minuten wetteiferte das Prasseln des Feuers mit den Stimmen der Priester, die ihre Gebete sangen. Mara kämpfte darum, gleichmäßig zu atmen, den überwältigenden Anblick des sich in eine Rauchsäule auflösenden toten Jungen zu ertragen.
    Wäre dies das Bestattungsritual für einen Menschen von geringerem Stand gewesen, hätten sich die Gäste jetzt auf den Rückweg gemacht und den dem Toten Nahestehenden eine Zeit privater Trauer gegönnt. Doch beim Tod eines Mitglieds eines wichtigen Hauses war für diese Höflichkeit kein Platz. Mara wurde keine Gnadenfrist gewährt. Vor aller Augen mußte sie ausharren, während die Akolythen Turakamus geweihtes Öl in die Flammen gossen. Hitzewellen gingen vom Scheiterhaufen aus und ließen Maras Haut erröten. Falls sie Tränen vergoß, so trocknete dieser grausame Ofen sie sofort wieder auf ihren Wangen. Über zuckenden Flammenwänden quoll dicker schwarzer Rauch langsam gen Himmel, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß ein Geist von hoher Ehre gegangen war.
    Die Sonne verstärkte das grelle Licht, und Mara fühlte sich krank und benommen. Hokanu stellte sich so, daß sie soviel Schatten wie möglich bekam. Er wagte nicht, zu oft besorgt zu ihr hinzuschauen, aus Angst, ihre Schwäche damit zu verraten, während die Zeit nur quälend langsam verging. Es dauerte fast eine Stunde, bis die Flammen sich gelegt hatten; dann folgten weitere Gebete und Gesänge, während die Holzkohle zum Auskühlen verteilt wurde. Mara schwankte beinahe, als der Priester Turakamus intonierte: »Der Körper ist nicht mehr. Der Geist ist gegangen. Er, der Ayaki von den Acoma war, ist jetzt hier« – bei diesen Worten berührte er sein Herz –, »hier« – seinen Kopf – »und in den Hallen Turakamus.«
    Die Akolythen trotzten der qualmenden Glut, als sie sich ihren Weg zum Zentrum des erloschenen Feuers bahnten. Einer benutzte ein dickes Lederstück, um das verbogene Schwert Ayakis herauszuziehen, reichte das Bündel schnell einem anderen, der darauf wartete, das heiße Metall mit feuchten Tüchern abzukühlen. Dampf erhob sich und mischte sich mit dem Rauch. Mara ertrug mit leeren Augen, wie der Priester Turakamus eine kunstvolle Schaufel benutzte, um die bereitgestellte Urne mit der Asche zu füllen. Mehr Holz als Junge, würden die Überreste als Symbol seiner Bestattung in den Hain seiner Ahnen gebracht werden. Denn die Tsurani glaubten, daß zwar die wahre Seele in die Hallen des Roten Gottes reiste, ein kleiner Teil des Geistes, der Schatten, jedoch zusammen mit den Ahnen beim Natami des Hauses ruhte. Das Wesen des Kindes würde so in ein neues Leben zurückkehren, während das, was ihn zu einem Acoma gemacht hatte, zurückblieb, um über seine Familie zu wachen.
    Hokanu stützte seine Frau, als zwei Akolythen vor sie traten. Einer reichte ihr das Schwert, das Mara berührte. Dann nahm Hokanu die verbogene Klinge, während der andere ihr die Urne gab. Mara nahm die Asche ihres Sohnes mit zitternden Händen entgegen. Sie begriff nicht, was sie in der Hand hielt, sondern starrte weiter auf die verstreuten, verkohlten Holzstücke innerhalb des Kreises.
    Hokanu berührte leicht ihren Arm, und sie drehten sich zusammen um. Die Trommeln dröhnten, als die Prozession sich auf den Weg zum Heiligen Hain machte. Mara nahm nichts um sich herum wahr, nur die Kälte der Urne in ihren Händen, die am Grund von der Asche erwärmt wurde. Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den anderen und bemerkte kaum, daß sie die verschnörkelten Torpfosten erreicht

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