Die Schwarzen Roben
hatte, die den Eingang zum Hain markierten.
Die Diener und Hokanu hielten ehrerbietig inne, denn der einzige, der nicht vom Blut der Acoma war und durch den Eingang treten und auf dem Steinweg ins Innere gehen durfte, war der Gärtner, dessen Leben der Pflege des Gartens gewidmet war. Selbst ihr Ehemann, der noch immer ein Shinzawai war, durfte hier nicht eintreten, wollte er nicht mit dem Tode bestraft werden. Einer fremden Person Eintritt zu gewähren, hätte die Schatten der Ahnen der Acoma beleidigt und dauerhafte Zwietracht über den Frieden des Natami gebracht.
Mara löste sich aus Hokanus Umarmung. Sie hörte das teils mitleidige, teils feindselige Gemurmel der Edlen nicht, die ihr nachschauten, bis sie hinter den Hecken verschwunden war. Schon einmal zuvor, auf dem alten Landsitz ihrer Familie, hatte sie die schreckliche Aufgabe auf sich genommen, die Schatten naher Familienmitglieder dem Natami zu weihen.
Die Größe des Gartens brachte sie durcheinander. Sie hielt inne, die Urne in verblüffter Verständnislosigkeit an die Brust gepreßt. Dies war nicht der bekannte Hain aus ihrer Kindheit, wohin sie als kleines Mädchen gegangen war, um den Schatten ihrer Mutter zu besuchen; dies war nicht der vertraute Pfad, auf dem sie knapp dem Tod durch einen Tong-Attentäter entkommen war, als sie um ihren Vater und ihren Bruder getrauert hatte. Dieser Ort hier war fremd, gewaltig, ein riesiger Park, in dem sich mehrere kleine Bäche wanden. Für einen Moment spürte sie so etwas wie Beklemmung, als sie sich fragte, ob dieser Garten, der so viele Jahrhunderte lang das Heim der Minwanabi-Schatten gewesen war, den Schatten ihres Sohnes zurückweisen könnte.
Wieder sah sie in der Erinnerung das Pferd stürzen, etwas beinahe teuflisch Schwarzes, das unschuldiges Leben zertrampelte. Sie fühlte sich verloren und atmete würgend. Sie wählte ihren Weg vollkommen zufällig, rief sich nur vage in Erinnerung, daß alle zu derselben Stelle führten, wo der ehrwürdige alte Stein, der Natami der Familie, am Rand eines großen Teiches ruhte.
»Ich begrub euren Natami nicht tief unter dem der Acoma«, sagte sie laut in die lauschende Luft; eine leisere Stimme in ihrem Innern warnte sie, daß sie in einem Anfall von Wahnsinn sprach. Das Leben war Wahnsinn, entschied sie, oder sie würde nicht hier sein und sinnlose Bewegungen über den Überresten ihres Sohnes ausführen. Sie hatte außerordentliche Großmut gezeigt, als sie darauf bestanden hatte, daß der Natami des besiegten Hauses an einen abgelegenen Ort geschafft und gepflegt werden sollte, damit die Schatten der Minwanabi Frieden finden konnten – eine Tat, die ihr in diesem Augenblick wie leerer Wahn, wie Narretei erschien.
Sie hatte nicht die Kraft zu lachen.
Mara verzog das Gesicht bei dem schlechten Geschmack in ihrem Mund. Ihre Haare rochen nach süßem Öl und fettigem Rauch. Der Gestank drehte ihr den Magen um, als sie sich auf den sonnenerwärmten Boden kniete. Direkt neben dem Natami war ein Loch gegraben worden, die feuchte Erde lag aufgehäuft daneben. Mara legte das vom Feuer verbogene Schwert, den kostbarsten Besitz ihres Sohnes, in das Loch, dann schüttete sie die Asche aus der Urne darüber. Mit bloßen Händen schob sie danach die Erde zurück in das Loch und klopfte sie fest.
Eine weiße Robe war für sie neben dem Teich bereitgelegt worden. Auf dem Seidenstoff lag eine Phiole und gleich daneben die traditionelle Kohlenpfanne und der Dolch. Mara hob das kleine Glasgefäß und entfernte den Stöpsel. Sie schüttete das wohlriechende Öl in den Teich. Schimmerndes Licht, vielfach gebrochen, spiegelte sich auf seiner Oberfläche; doch sie sah darin keine Schönheit, sondern nur das Gesicht ihres Sohnes, den Mund voller Schmerzen weit aufgerissen, als er um seinen letzten Atemzug kämpfte. Die Rituale brachten keine Erlösung, schienen nicht mehr als eine Abfolge bedeutungsloser Geräusche. »Ruhe, mein Sohn. Kehre zurück zu deiner Heimaterde und schlafe bei unseren Ahnen.
»Ayaki«, flüsterte sie. »Mein Kind.«
Sie zerrte am Oberteil ihrer Robe und riß sich den Stoff vom Oberkörper, doch anders als vor vielen Jahren, als sie das Ritual für ihren Vater und Bruder ausgeführt hatte, flossen danach keine Tränen. Ihre Augen blieben schmerzhaft trocken.
Sie legte ihre Hand in die beinahe erloschene Kohlenpfanne. Der Rest der Asche brannte nicht heiß genug, um ihre Gedanken abzulenken. Die Trauer blieb ein dumpfer Schmerz in ihrem Innern, als
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