Die schwarzen Wasser von San Marco
Gekreisches im Saal.
– Und dass es Chaldenbergen einfach unangenehm war, wenn jemand den uralten Fluchtweg entdeckte, den er nicht brauchte, in einem Haus, das er spätestens morgen für immer verlassen würde, und er deshalb einen Wachposten aufgestellt hatte.
Nur noch wenige Tänzerinnen befanden sich in der Mitte des Saals, und sie hatten nur noch wenig an. Die Kissen beherbergten jetzt eine Verschlingung von Gliedmaßen in unterschiedlichen Graden der Nacktheit. Chaldenbergen nahm einen der Männer um ihn herum am Arm und führte ihn mir entgegen.
»Ich weiß, dass Sie es eigentlich nicht wollen«, sagte er zuvorkommend, »aber mein Geschäftsfreund hier hat mich gebeten, Ihnen vorgestellt zu werden.«
Chaldenbergens Geschäftsfreund reichte mir die Hand und redete mit einem Schwall auf mich ein. Ich verstand kein Wort von dem, was er sagte, nickte aber hochmütig. Ich wusste bereits, dass meine Tarnung erledigt war, aber ich wollte wenigstens so lange wie möglich den Anschein wahren. Chaldenbergen betrachtete mich lächelnd. Sein Geschäftsfreund beendete seine Ansprache und trat zurück. Jemand legte mir eine Hand auf die Schulter, ich drehte mich herum und sah in die Gesichter der beiden männlichen Prostituierten. Sie nahmen mich in die Mitte.
»Es hätte beinahe funktioniert«, sagte ich zu Chaldenbergen.
Er nickte. Sein Lächeln war jetzt verschwunden. »Was wollen Sie?«
Ich wies mit dem Kopf auf das fröhliche Treiben hinter seinem Rücken. »Glauben Sie, dass Ihre Freunde gern aus Ihrem Tun gerissen werden?«
»Von wem? Von Ihnen?«
Ich zuckte mit den Schultern und versuchte, mir den Anschein von Überlegenheit zu geben. Draußen warten zwei Söldnerheere, die das Haus in seine Einzelteile zerlegen, wenn mir etwas zustößt.
»Wenn ich Sie kaltmache, wird es nicht einmal so laut.« Er schnippte mit den Fingern. »Also – was wollen Sie von mir?«
»Ich brauche nur zu schreien …«
Ich fühlte plötzlich eine kalte Klinge an meiner Kehle.
»… der Schrei würde Ihnen abgeschnitten werden, bevor Sie noch genug Luft geholt haben, und das im wahrsten Sinn des Wortes«, erklärte Chaldenbergen. »Abgesehen davon dürften Sie hier brüllen, so viel Sie wollen, es würde kaum jemanden stören.«
»Dann ist das Messer ja unnötig«, erwiderte ich rau. Heute Nachmittag hatte ein Dolch an meinen Rippen gesessen; jetzt einer an meinem Hals. Ich fühlte mein Herz schlagen und zugleich mit jedem Schlag die Wut in mir emporsteigen, die ich immer dann fühlte, wenn es brenzlig wurde, und die in der Gegenwart Chaldenbergens nur umso schneller aufloderte.
»Wir gehen jetzt ganz vernünftig durch den Saal in das leere Zimmer dahinter«, sagte Chaldenbergen. »Wir sind die besten Freunde.«
Das Messer verschwand von meinem Hals und bohrte sich stattdessen dort hinein, wo noch die wunde Stelle von heute Nachmittag war. Ich folgte Chaldenbergen und seinen Schergen, und das Theater wäre nicht einmal nötig gewesen. Chaldenbergens Gäste waren mit den Tänzerinnen beschäftigt und würdigten uns keines Blickes. Der Essensgeruch im Saal, der sich über den Duft der Bodenstreu durchgesetzt hatte, begann von den nicht weniger würzigen Gerüchen erhitzter Körper abgelöst zu werden. Chaldenbergen schnupperte, warf dem Kerl mit dem weißen Gewand einen vorwurfsvollen Blick zu und hielt ein wenig mehr Abstand zu ihm. Ich wandte den Kopf, bis ich demjenigen der beiden Lustknaben ins Gesicht sehen konnte, mit dem ich gesprochen hatte. Er trottete neben mir her und hielt mich am Ellbogen fest; sein Kamerad presste mir die Klinge in die Seite.
»Als ich Ihnen viel Glück wünschte, habe ich nicht das hier gemeint«, erklärte ich. In seine Augen schlich sich ein betroffener Ausdruck. Er verzog das Gesicht und biss die Zähne zusammen.
»Gehen Sie!«, sagte er.
»Ich könnte bei der Polizei ein gutes Wort für Sie einlegen.«
»Ist keine Polizei in der Nähe.«
»Das glaubt er«, sagte ich leichthin und wies mit dem Kinn auf Chaldenbergen, der vorausging. »Wir beide wissen es besser, oder?«
Chaldenbergen war an der Tür angekommen und öffnete sie für uns. Mein Gesprächspartner ließ mich los; sein Freund schob mich in das dahinter liegende Zimmer. Ich hörte, wie mein Gesprächspartner hastig auf Chaldenbergen einredete; er erhielt eine barsche Antwort. Chaldenbergen blieb lange genug zurück, um eine Fackel aus ihrer Halterung zu nehmen. Er winkte jemandem zu, der offensichtlich von seiner
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