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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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mit einer Kopfbewegung zu sich und stapfte mit ihm in eine Ecke des Saales davon. Die Blicke der beiden Lustknaben folgten ihm sorgenvoll. Ich wandte mich zu dem kleinen Kaufmann um, der seine Klagen mittlerweile eingestellt hatte und überlegen grinste. Dann wurde ihm bewusst, dass die gesamte Gesellschaft in den Kissen noch immer zu uns herübersah, und er breitete die Arme aus und lächelte wie ein Priester am Ende der Messe: Ite, missa est , meine Kinder, amüsiert euch wieder.
    Er machte sich die Mühe, auch mich anzulächeln, dann sah er zu den beiden Knaben nach oben und fuhr sich mit dem gleichen Lächeln im Gesicht mit dem Finger über die Kehle. Die beiden Prostituierten erbleichten und sahen aus, als würde ihnen im nächsten Moment schlecht werden. Ich musste etwas tun, bevor sie bereuen und sich wieder auf seine Seite schlagen würden. Ich musste etwas tun, obwohl ich nicht wusste, was überhaupt passiert war. Calendar stand mit hängenden Schultern in der Ecke und ließ eine geflüsterte Predigt des Maskenträgers über sich ergehen. Chaldenbergen winkte einem seiner Bediensteten, und dieser hastete herüber und brachte ihm ein Glas Wein.
    Die Machtverhältnisse hatten sich geändert.
    Ich eilte zu den beiden Männern in der Ecke des Saals hinüber.
    »Verschwinden Sie«, fauchte Calendar. Der Mann mit der Maske unterbrach seine aufgebrachte Rede und starrte mich an. Ich straffte mich, stemmte die Arme in die Seiten und erwiderte den Blick.
    »Ich bin der Beauftragte des genuesischen Botschafters«, sagte ich mit aller Arroganz, die mir zu Gebote stand. »Ich begehre zu wissen, was hier vorgeht.«
    Die Augen hinter der Maske blieben auf mich gerichtet, während der Mund darunter etwas hervorstieß, das sich wie eine Anklage gegen Calendar anhörte. Ich setzte einen hochmütigen Blick auf und sagte zu Calendar: »Er soll in meiner Sprache reden, wenn er mir etwas mitzuteilen hat. Sagen Sie ihm das.«
    Der Maskenträger zuckte zurück. Er schien zumindest die Bedeutung der Worte erfasst zu haben. Er feuerte etwas auf Venezianisch ab und gestikulierte Calendar zu, er solle es übersetzen. Ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.
    »Das ist einer Ihrer Vorgesetzten, habe ich Recht?«, sagte ich in demselben Tonfall wie zuvor. »Spielen Sie mit, sonst sind wir erledigt. Der Botschafter ist die Tarnung, unter der ich mich hier eingeschlichen habe.«
    Calendar knurrte etwas, das ich nicht verstand. Dann wandte er sich mit einer ehrerbietigen Geste an den Maskenträger und übersetzte. Ich konnte das Gesicht hinter dem schwarzen Stoff nicht erkennen, aber die Augen blinzelten. Der Mann gab eine kurze, wütende Erklärung ab und zeigte erst auf Calendar, dann auf mich.
    »Chaldenbergen hat mich angeklagt, von einem seiner Konkurrenten bestochen worden zu sein, ihn auf dieser Feier unter falschem Vorwand zu verhaften«, sagte Calendar. »In diesem Kreis hier kennt man Chaldenbergen nur als ehrenwerten Mann. Ich hingegen gelte als Verräter, dem man nur aus Gnade noch eine zweite Chance gewährt hat. Man glaubt Chaldenbergens Worten, nicht den meinen.«
    Ich griff nach der Maske und tat so, als wollte ich sie abziehen. Eine Hand klammerte sich um mein Handgelenk, aber ich ließ nicht los. Die Augen hinter der Maske waren aufgerissen vor Schreck.
    »Sagen Sie ihm«, knurrte ich, ohne von der Maske zu lassen, »dass ich genau weiß, wer er ist. Ich bin der Beauftragte des genuesischen Botschafters. Ich habe Sie angefordert, mich nach Hause zu begleiten, weil Sie Ser Genovese als der einzige zuverlässige Mann im gesamten Polizeiapparat der Republik geschildert worden sind und er große Stücke auf Sie hält.« Ich sah mich um und bemerkte, dass Chaldenbergens Grinsen verschwunden war und er sich zögernd in Bewegung setzte, um zu uns herüberzukommen. Ich hielt eine Ecke der Maske weiterhin umklammert. »Sagen Sie ihm, dass Chaldenbergen mir zwei völlig unzulängliche Liebesdiener angeboten hat und wir deshalb in Streit geraten sind. Sagen Sie ihm, wenn er riskieren will, dass der genuesische Botschafter wegen eines knauserigen tedesco verärgert abreist und die Beziehungen zwischen beiden Städten wieder militärischer Natur sein werden, dann kann er es so haben. Andernfalls soll er Sie und mich gehen lassen, und ich werde vergessen, dass er den Lügen eines Ausländers mehr geglaubt hat als dem Wort des Beauftragten von Ser Genovese.«

14
    Calendar war nicht dumm; er hatte zu übersetzen begonnen, kaum dass ihm klar

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