Die schwarzen Wasser von San Marco
Sündenbock verwenden kann, wenn das dem Herrn von Sinope nicht gefällt.«
Calendar zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«
»Und Caterina? Was haben Sie sich von ihr erhofft?«
»Ich bin selbst in das Viertel hinter dem Arsenal gegangen, als meine Männer zurückkamen und meldeten, niemanden gefunden zu haben. Ich habe in das Haus gesehen, das sie mir bezeichnet haben. Ich habe sogar nach Stofffetzen gesucht, die von einer zerschnittenen Fessel stammen könnten. Nichts.«
»Ich habe nicht gelogen. Sie haben doch selbst gesehen, dass ich verletzt wurde.« Ich hob meinen Arm.
Er winkte ab. »Sie haben alles sauber aufgeräumt. Sollten noch Münzen übrig gewesen sein, die aus Ihrer Börse stammten, haben die Gassenjungen sie gefunden. Aber eines wurde übersehen.«
Ich sah ihn verständnislos an.
»Der Blutfleck an der Hausmauer. Wo Ihr Gegner mit dem Kopf angeschlagen ist. Er war noch da. Nicht sehr groß und in der Hitze schon eingetrocknet. Wenn man nicht wusste, dass es ihn gab, hätte man ihn übersehen. Deswegen haben sie ihn auch nicht entfernt. Aber ich wusste aus Ihrer Schilderung, wo ich nachsehen musste.«
»Dann glauben Sie mir also?«
»Irgendwie sind Sie in diese ganze Geschichte verwickelt. Und irgendwie hat dieser tote Junge, Pegno Dandolo, etwas damit zu tun. Vielleicht hat er etwas gesehen und musste mundtot gemacht werden. Ich weiß es nicht.«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.«
»Der zweite ›Zeuge‹ aus dem Arsenal. Jener Fratellino.«
»So ist es.«
Er seufzte und sah sich um. Wenn wir weiter zur fondamenta hin stehen geblieben wären, hätten wir den kleinen Kanal gesehen, der an Chaldenbergens Haus vorbeilief.
»Wir können nicht noch mal in das Haus eindringen. Da könnten wir gleich vom Campanile auf der Piazzetta springen.«
»Hören Sie, Calendar, dort drin gibt es einen Raum, in dem Caterina gefangen gehalten wird. Ich habe Geräusche gehört, und ich brauche Ihnen nicht zu beschreiben, welcher Art diese Geräusche waren. Sie haben gesehen, was in Chaldenbergens Saal vor sich geht. Er ist mit ein paar weiteren Männern zu Caterina geschlichen. Die anderen – Barbarigo eingeschlossen – glauben, sie haben nur an einer Orgie mit bezahlten Huren teilgenommen. Sie und ich wissen, dass in Wahrheit eine ganz andere Orgie in diesem Haus geschieht.«
»Wir können nichts tun.«
»Alarmieren Sie Ihre Leute, verdammt noch mal.«
»Es wird niemand kommen. Barbarigo kann es sich nicht leisten, dass Chaldenbergen verhaftet wird und über ihn plaudert. Er ist kein unrechter Mann. Wenn man ihn überzeugen könnte, dass Chaldenbergen ein junges Mädchen in seinem Haus versteckt hält und quält, dann vielleicht. Aber das wird uns nicht gelingen. Und wenn doch, dann ist es zu spät.«
»Was können wir dann tun?«
»Wir warten«, sagte er grimmig. »Irgendwann ist das Fest zu Ende.«
»Worauf warten wir?«
»Ich weiß es nicht.« Ich hatte den Eindruck, dass er log. Er wusste genau, worauf wir warteten. Ich stolperte ihm hinterher, als er sich wieder in Bewegung setzte. Wir marschierten auf eine kleine, brüstungslose Brücke zu, die uns über den Kanal bringen würde, der vor Chaldenbergens Haus verlief.
»Bis dahin kann Caterina …« Ich verzichtete darauf, weiterzusprechen.
»Haben Sie eine bessere Idee? Vielleicht, Ihre Landsleute im Fondaco zu wecken?«
Ich winkte ab.
»Wir sind allein«, sagte er. »Diese Republik hat das beste Rechtssystem der Welt, und deshalb schützt es auch manchmal die falschen Männer. Und deshalb sind wir ganz allein.«
Wir überquerten die Brücke. Hier gab es keine fondamenta , auf der wir zurück vor Chaldenbergens Haus hätten gehen können. Calendar führte mich in eine enge calle hinein, die uns zu einem Kanal weiter südlich brachte.
»Das ist der Rio della Misericórdia«, sagte er, ohne anzuhalten. Wir eilten auf der fondamenta , die auch hier am nördlichen Ufer des Kanals lag, weiter. »Er verläuft parallel zum Rio della Sensa; das ist der vor dem Haus Ihres Freundes.«
Er zögerte kurz vor einer Gassenmündung, dann betrat er sie. Wir kehrten zurück zum Rio della Sensa. Die calle endete direkt am Wasser. Calendar ließ mich hinausspähen. Ein paar Schritte weit rechts schwang sich die kleine Brücke, die fast direkt vor Chaldenbergens Haus lag, über den rio . Dahinter sah ich das Grüpplein der Bootsführer, die sich halblaut unterhielten. Calendar setzte sich ein wenig
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