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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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flüsterte Calendar.
    Ich deutete auf den matten Lichtreflex, der an der Hüfte des letzten der drei Männer aufblinkte. Ein Dolch baumelte dem Mann vom Gürtel. Calendar hatte ihn ebenfalls bemerkt.
    »Wir wären dumm, sie anzugreifen«, murmelte Calendar.
    »Also, was tun wir?«
    »Ihnen weiter hinterdreinlaufen, was sonst?«
    Ich hielt ihn zurück, als er sich wieder in Bewegung setzen wollte.
    »Calendar«, sagte ich, »was glauben Sie eigentlich, was sich in dieser Truhe befindet?«

16
    Calendar sah mich mit verschlossener Miene an, ohne auf meine Frage zu antworten.
    »Warum werfen sie sie nicht einfach ins Wasser?« Ich fühlte einen Stich, als ich es aussprach. Mein Magen krampfte sich zusammen.
    »Weil sie nicht tot ist. Sie können es sich nicht leisten, dass sie vielleicht zu sich kommt und sich irgendwo ans Ufer retten kann.«
    »Sie könnten sie doch einfach …«
    »Sie wollen sich die Finger nicht schmutziger als nötig machen. Sie haben andere, die das für sie erledigen.«
    »Das heißt, Sie wissen jetzt, wohin die Kerle wollen?«
    »Ja«, sagte er dumpf. »In das Viertel hinter dem Arsenal. Die Elenden dort geben ihr den Rest.«
    Den Männern die gesamte Strecke nachzuschleichen war unmöglich; trotz unseres lautlosen Vorankommens hätten sie uns irgendwann bemerkt. Calendar, der sich vollkommen darauf verließ, dass sein Verdacht richtig war, führte mich auf verschlungenen, nicht nachvollziehbaren Wegen durch die calli in Richtung zum Arsenal. Ich vermutete, er war genauso stark wie die Verfolgten daran interessiert, eventuellen Patrouillen auszuweichen; kraft seines Amtes hätten wir uns sicherlich herausreden können, aber die Auseinandersetzung hätte Zeit gekostet – Zeit, in der wir die Männer und ihre Fracht verloren hätten.
    Ich war froh, dass ich mich nur auf Calendar konzentrieren musste statt auf den Weg; der Aufruhr an Gefühlen, der in mir wütete, war schwierig genug zu beherrschen. Caterina aus den Händen Chaldenbergens zu befreien war längst zu einer persönlichen Sache geworden, und mein ursprüngliches Motiv, durch sie an Fratellino heranzukommen, rückte in den Hintergrund. Calendars Unterstützung war mir willkommen, und nachdem er mir von seinem Sohn erzählt hatte, glaubte ich nun auch zu verstehen, warum er mir helfen wollte. Und weshalb seine Grobheit gegenüber dem Gassenjungen, der mich zu bestehlen versucht hatte und irgendwo in einem Massengrab verscharrt lag, lediglich gespielt gewesen war. Jede dieser elenden kleinen Gestalten erinnerte ihn vielleicht an seinen Sohn, wie er im regengepeitschten Wasser der Lagune vor seinen Augen versank.
    Die drei Männer waren bereits auf dem Rückweg aus den Gassen des heruntergekommenen Viertels heraus. Die Truhe war verschwunden. Sie machten halblaute Scherze. Die Gassen waren wie ausgestorben in der Stunde nach Mitternacht, in der sich kaum eine Seele aus ihrer Behausung wagte. Der einzige Mensch, auf den sie stießen, war ein Betrunkener, der zusammengerollt an einer niedrigen Mauerbrüstung schlief. Er schien halbwegs wohlhabend zu sein, seiner Kleidung nach zu schließen; sie war zerknittert und staubig, aber unversehrt, der Stoff fein und die Farben kräftig: ein Kerl, den die Lust auf etwas hierher getrieben hatte, das ihm die Huren in der Stadt nicht geben wollten oder das er sich dort nicht leisten konnte, und der jetzt im Weinrausch selig das nacherlebte, was er sich bei einer Schlampe im Elendsviertel geholt hatte. Irgendjemand schien ihm die Stiefel gestohlen zu haben – er war barfuß. Die drei Männer scherzten, ob wohl noch etwas Stehlenswertes an ihm zu finden sei, ließen ihn jedoch in Frieden. Sie bogen in den langen ungepflasterten Weg zwischen den Mauern ein und traten ihren Schleichweg um das bewachte Arsenal herum an. Ihre leisen Stimmen verloren sich zwischen den Hauswänden.
    »Sie sind weg!«, zischte ich Calendar zu und richtete mich aus meiner zusammengerollten Haltung am Fuß der Mauer auf. Ich klopfte mir den Staub aus den Kleidern und fragte mich, was wir getan hätten, wenn die drei Kerle tatsächlich anstellig geworden wären, mich zu durchsuchen. Ich schlüpfte in die Stiefel, auf die ich mich gelegt hatte, froh, meine Füße wieder in Sicherheit zu bringen. Calendar sah nachdenklich die Gasse hinauf, aus der die drei Männer gekommen waren.
    »Sie haben Caterina irgendwo abgeladen«, drängte ich, als er keine Anstalten machte, über die Mauer zu klettern. »Wir haben keine Zeit zu

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