Die schwarzen Wasser von San Marco
Calendar.
»Von den Reichen kann man das Sparen lernen.«
Drei weitere Bedienstete schwankten unter einem zusammengerollten Teppich auf die fondamenta hinaus. Sie folgten ihren Kameraden langsam nach und schienen zu hoffen, dass sie sie noch einholen konnten. Calendar schüttelte den Kopf. »Hoffentlich tragen sie nicht noch den Inhalt des Abtritts ins Fondaco.«
Es dauerte eine Weile, während der mir das Warten schwer wurde. Nur Calendars Hand auf meinem Unterarm hielt mich davon zurück, aufzuspringen und zu versuchen, zu dem Haus auf der anderen Seite des Kanals zu gelangen. Schließlich wurden die Fensterläden wieder vor die Öffnungen in der Loggia gestellt und festgebunden, und wenig später traten die zwei männlichen Dirnen unten aus dem Eingang und schlugen sich mit schnellen Schritten in eine der Gassen. Chaldenbergen folgte ihnen auf dem Fuß. Er ging in Richtung Fondaco dei Tedeschi und schien sich keinerlei Gedanken darüber zu machen, ohne Eskorte unterwegs zu sein.
»Haben Sie das Mädchen irgendwo gesehen?«, flüsterte Calendar. Ich schüttelte den Kopf.
Die Eingangstür zu Chaldenbergens Haus öffnete sich langsam. Ein Mann trat heraus und sah sich suchend um. Als er die fondamenta leer fand, winkte er ins Innere des Hauses hinein; zwei weitere Männer schleppten eine große Truhe heraus. Der erste Mann packte mit an, und sie marschierten, so schnell sie konnten, davon.
Calendar wandte sich um und sah mich an. Im Licht, das von Chaldenbergens Fenstern her zu uns drang, sah ich seine Augen glitzern. Sein Gesicht nahm einen beunruhigten Ausdruck an. Er sah zum Haus hinüber und dann in die Richtung, die die Männer mit der Truhe eingeschlagen hatten. Ich spürte plötzlich einen Kloß im Hals.
»Hinterher«, sagte er und lehnte sich an die Mauer. Er zog sich hastig die Stiefel aus und nahm sie in die Hand.
»Und Chaldenbergen?«, fragte ich.
»Wollen Sie helfen oder rächen?«
Ich starrte ihn an, dann folgte ich seinem Beispiel. Mit bloßen Füßen huschten wir lautlos die Gasse zurück bis zum Rio della Misericórdia, in die nächste calle wieder hinein, durch sie hindurch und über die Brücke vor Chaldenbergens Haus. Ich spürte die kühlen, buckligen Pflastersteine unter meinen Füßen, die sich mit den wärmeren Terrakottafliesen abwechselten, die da und dort gelegt waren. Als wir Chaldenbergens verschlossenes Haus passierten, hielt ich den Atem an, aber niemand trat mehr aus der Tür. Die drei Männer mit der Truhe waren nirgends zu sehen. Wir liefen die fondamenta entlang, bis sie an einem weiteren Kanal endete und nur nach links oder rechts weiterging. Linker Hand sah ich das Glitzern einer weiten Wasserfläche; der Canale delle Sacce. Rechts führte eine Brücke über den Rio della Sensa weiter nach Süden in die verwinkelten Gassen hinein.
»Rechts«, sagte ich. »Wenn sie links abgebogen wären, müssten wir sie noch sehen.«
Calendar nickte und lief in leichtem Trab weiter. Ich bemühte mich, mit ihm Schritt zu halten. Das ungewohnte Laufen mit bloßen Füßen auf dem Pflaster machte mich langsam; als wir an eine Stelle kamen, wo fest getretenes Erdreich das Pflaster abwechselte, begann auch Calendar zu humpeln. Kleine Steinchen bohrten sich schmerzhaft in meine Sohlen. Calendar blieb stehen.
»Wir sollten sie längst eingeholt haben«, keuchte er. »Sie müssen irgendwo abgebogen sein.« Er sah sich suchend um.
»Wir sind gerade an einer Brücke vorbeigelaufen. Sie führte in die Dunkelheit einer dieser verteufelt engen calli .«
»Ich dachte, sie würden zum Canàl Grande laufen und dort ein Boot besteigen«, sagte Calendar. »Aber scheinbar planen sie, die Strecke zu Fuß zurückzulegen.«
»Das ist unlogisch.«
»Nein, ist es nicht. Auf dem Kanal kreuzen in der Nacht viele Boote der Behörden. Es ist immer schon leichter gewesen, sich im Schutz der Dunkelheit auf dem Wasserweg nach Venedig hereinzuschleichen, als auf dem Landweg, und davor fürchtet sich die Serenissima. Wenn sich die Kerle hier einigermaßen auskennen, können sie allen Landpatrouillen mühelos ausweichen.«
Calendar führte mich über die Brücke, die ich ihm genannt hatte. Diesmal hatten wir Glück. Nach ein paar Biegungen prallte Calendar zurück. Ich sah die drei Männer mit der Truhe zwischen sich undeutlich durch das matte Licht taumeln, das ein paar Öllampen an der Fassade einer kleinen Kirche verbreiteten. Ihr Keuchen und ihre Flüche waren bis hierher hörbar.
»Das ist Santa Sofia«,
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