Die schwarzen Wasser von San Marco
auf, dass ich in meinem Bemühen, ihn zu trösten, dem Gespräch die falsche Wendung gegeben hatte. Ich hatte versäumt zu fragen, warum sein Sohn sich nicht an das Unglück erinnerte.
Drüben bei den wartenden Bootsführern erhoben sich mit einem Mal Stimmen. Calendar schlich zur Gassenmündung, um nachzusehen. Ich folgte ihm und spähte ebenfalls um die Ecke. Ein kleines Kontingent Bewaffneter war bei den Bootsführern eingetroffen und schien sie zu befragen.
»Nachtpatrouille?«, fragte ich flüsternd.
Calendar schüttelte den Kopf. »Keine Stadtwachen. Das ist die Mannschaft aus dem Fondaco, die Eskorte für die Besucher, die zu Fuß heimkehren. Chaldenbergen ist ein fürsorglicher Gastgeber.«
Scheinbar hatte der Kaufmann sie für Mitternacht zu seinem Haus bestellt. Der größere Teil der Bewaffneten betrat das Haus, während die Übrigen sich unter die Bootsführer mischten, Handschläge austauschten und die Abwesenheit ihres Truppführers nutzten, um sich hastig aus dem Weinvorrat der Venezianer zu bedienen. Chaldenbergen schien nach unserem Weggang Läden in die spitzbogigen Fensteröffnungen des Saals gestellt zu haben; jetzt nahm jemand sie beiseite, und goldenes Licht sickerte heraus. Ein Gesicht wurde in einem der Bogen sichtbar, und sein Besitzer atmete geräuschvoll die frische Luft ein. Calendar wich zurück und drängte mich in die calle hinein.
Seine Vorsicht war unnötig. Keiner der Gäste, die in Begleitung der deutschen Wachmannschaft aus der Tür quollen, war in der Lage, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als darauf, nicht der Länge nach hinzufallen. Die Wachen verteilten die Betrunkenen auf die Zurufe der Ruderer hin in die Boote und nahmen dann die wenigen, die nicht auf dem Wasserweg angereist waren, in die Mitte. Es gab ziemlich viel Lärm, am meisten von den Gästen, die sich gegenseitig zuzischten, leise zu sein, und sich dann selbst vor Lachen darüber ausschütteten. Die frische Nachtluft schien auf den einen oder anderen zu wirken wie ein Hammerschlag: Ich sah sie auf den Stufen kauern, die zum Wasser hinabführten, und den Fischen opfern.
Ich wartete, dass in den umgebenden Häusern die Läden aufflogen und die ersten Flüche laut wurden; es hörte sich an, als würde eine Kompanie Landsknechte marodierend durch die Gasse ziehen. Alles blieb jedoch still; Chaldenbergen hatte seine Nachbarn wohl vorgewarnt und mit entsprechenden Geschenken gewogen gemacht. Die ersten Boote schwangen sich in die Mitte des rio und wurden mit geübten Ruderschlägen vorangetrieben. Die Wachen warteten auf die Schar der Frauen, die kichernd und wieder halbwegs züchtig bekleidet aus der Tür sprangen und sich sofort in die Mitte des lockeren Kreises drängten, um sich ihren Freiern wieder an den Hals zu werfen und ihnen vielleicht noch ein Schmuckstück oder Ähnliches zu entlocken. Der Wachführer betrachtete die Szene mit der für meine Landsleute typischen Humorlosigkeit, sah nach oben, wo Chaldenbergen kurz in einem der Fensterrahmen auftauchte und ihm zunickte, und das Trüppchen setzte sich lärmend in Bewegung.
»Buona notte« , brummte Calendar verächtlich.
Ich richtete mich auf. Calendar legte mir eine Hand auf den Arm.
»Wir warten, bis die Bediensteten weg sind«, sagte er ruhig. »Chaldenbergen hat noch genügend Freunde da oben, um uns in Stücke zu reißen.«
»Die zwei jungen Kerle sind auch noch drin.«
Calendar nickte. Wir drückten uns gegen die Hausmauer und spähten weiterhin um die Ecke. Die Geräusche der abziehenden Gäste wurden allmählich leiser; nur ab und zu hallte aus dem Gassengeflecht, in das sie marschiert waren, schrilles Frauenkreischen oder lautes betrunkenes Lachen. Aus den Fensteröffnungen des Hauses drang Scheppern und das Geräusch vom Verschieben schwerer Möbel. Nach einer Weile stolperten Chaldenbergens Dienstboten aus der Tür. Sie trugen die Tischplatten und die dazugehörigen Böcke zwischen sich. Andere folgten ihnen mit Säcken, die schwer zu sein schienen und deren Inhalt schepperte. Hinter ihnen bückten sich die letzten zwei Wachen aus dem Fondaco durch die Türöffnung. Sie formierten sich alle zu einer Trägerkolonne und stapften davon, von den beiden Bewaffneten eskortiert. Nun nicht mehr mit Lichtern, Brotscheiben und Lebensmitteln beladen, erkannte ich die Tische wieder: Sie sahen aus wie die, an denen im Innenhof des Fondaco die Gäste bewirtet wurden.
»Er hat sich die Möbel und das Geschirr aus dem Fondaco ausgeliehen«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher