Die schwarzen Wasser von San Marco
»Du redest dich leicht«, murmelte sie.
»Fiuzetta, das Mädchen wird sterben. Entweder lassen sie Caterina jetzt an ihren Verletzungen zugrunde gehen, oder sie päppeln sie wieder auf, um sie erneut zu verkaufen. Du hast Recht, ich rede mich leicht. Ich weiß nicht genau, was vorgeht. Aber du weißt es. Und deshalb verstehe ich nicht, warum du dich raushalten willst.«
»Weiß sie, wo Caterina ist?«, rief ich überrascht. »Weißt du es, Moro?«
Moro gab der Öllampe einen unzufriedenen Schubs. Das Flämmchen flackerte kurz auf und erlosch beinahe. Moro erhob sich so abrupt, dass die Bank, auf der er saß, über den Boden scharrte. Fiuzetta zuckte zusammen.
»Ich darf es Ihnen nicht sagen«, knurrte Moro. »Sie hat es mir als Geheimnis anvertraut.«
»Und du hast schon viel zu viel gesagt!«, klagte Fiuzetta.
»Hier geht es um mehr als um das Geflüster zweier Menschen nach dem Liebesakt!«, sagte Moro heftig, ohne sich darum zu kümmern, wie ich auf diese Eröffnung reagierte. »Manchmal haben Geheimnisse kein Recht, weiterhin Geheimnisse zu bleiben.«
»Wovor fürchtest du dich, Fiuzetta?«, fragte ich. »Dass ich das, was du weißt, sofort aufschreiben und dem Rat der Zehn melden werde?«
Fiuzetta schüttelte mit grimmigem Gesicht den Kopf, ohne mir zu antworten. Moro wartete ein paar Augenblicke, dann trat er hinter dem Tisch hervor und stapfte in Richtung Küche davon.
»Sie fürchtet sich davor, sich ihrem Leben zu stellen«, zischte er wütend und verschwand um die Ecke.
Fiuzetta blickte ihm nach. Ich konnte die Tränen sehen, die in ihren Augen schimmerten.
»Erinnerst du dich an unser Gespräch? Was du mir über die Männer erzählt hast, deren Lust sie böse gemacht hat und die auf der Jagd nach jungen Mädchen sind?«, fragte ich. Fiuzetta nickte mit verschlossener Miene. »Heinrich Chaldenbergen ist einer davon. Caterina ist ihm in die Hände gefallen.«
Sie nickte erneut.
»Aber das ist noch nicht alles.«
Sie schüttelte den Kopf. Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ihre Finger zerknüllten den Saum ihres Untergewandes. Plötzlich sprang sie auf, warf sich herum und rannte über die Stufen nach oben, dass das Treppenhaus laut von ihren Schritten widerhallte.
»Er soll es sagen!«, rief sie schluchzend. Ich hörte, wie sie weiter ins Dachgeschoss stürzte, wo die Geräusche schließlich verstummten. Ich drehte mich um. Moro stand im Eingang zur Küche. Er sah nachdenklich zum Treppenhaus, dann fasste er einen Entschluss. Er winkte mir mit dem Kopf, und ich folgte ihm in den großen, dunklen Raum hinein.
Moro hatte eine Öllampe entzündet, die an Ketten von der Decke hing. Die große offene Feuerstelle roch nach Asche, die noch nicht so kalt ist, dass sich ganz in ihrem Kern nicht noch ein Fünkchen roter Glut finden ließe. Der Duft von gebratenem Fleisch klebte an den gemauerten Wänden und der hölzernen Decke. Er erinnerte mich an die Gerüche der Feierlichkeit in Chaldenbergens Haus. In einem kniehohen Verschlag an der Rückseite der Küche piepte und raschelte es. Moro holte die Lampe aus der Schankstube und stellte sie neben den Verschlag auf den Boden. Dann setzte er sich umständlich hin und öffnete den Deckel des Verschlags. Das Piepen wurde lauter und hektischer. Er holte eines der frisch gekauften Küken heraus. Es blinzelte in die Flamme der Lampe, pickte nach seinen Fingern und ergab sich schließlich in Moros sanften Griff. Nach wenigen Augenblicken begann es, das Gefieder aufzuplustern und es sich in der Höhle der beiden starken, schwarzen Hände bequem zu machen. Ich setzte mich Moro gegenüber auf den terrakottagefliesten Küchenboden, und er reichte mir das Küken. Das letzte Mal hatte ich als kleiner Junge ein Küken in der Hand gehalten, aber manche Dinge vergisst man nicht. Das Tier erschauerte kurz und hielt sich dann wieder still. Die Unterseiten seiner Krallenfüße waren erstaunlich heiß.
Moro angelte ein zweites Küken heraus und streichelte sein Köpfchen, bis es wie sein Vorgänger vom Schlaf übermannt wurde.
»Ein Freund von mir fing einmal einen verletzten Vogel«, sagte er. »Wir alle hielten und streichelten ihn. Der Älteste von uns sagte schließlich, dass die Schwinge des Vogels gebrochen sei und wir ihm nicht würden helfen können. Wir sollten ihm einen gnädigen Tod gönnen. Niemand wollte es tun. Schließlich blieb es an ihm hängen. Ich erinnere mich an sein Gesicht, als er das Tier in die Faust nahm. Er wollte es ebenso wenig
Weitere Kostenlose Bücher