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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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aufrechte Männer.«
    Ich verzichtete darauf, ihm mitzuteilen, was Paolo Calendar über den maskierten Marco Barbarigo auf Chaldenbergens Feier erzählt hatte. Ich erhob mich mit schmerzenden Gliedern. Moro richtete sich geschmeidig auf und drückte mir das Öllämpchen in die Hand.
    »Fallen Sie nicht auf der Treppe«, sagte er ruhig.
    »Ich hoffe, Fiuzetta trägt es dir nicht nach, dass du ihre Geschichte erzählt hast …«
    Moro stellte sich auf die Zehenspitzen, um das Öllicht, das von der Decke hing, auszublasen. »Sie fürchten, dass aus ihr und mir kein Liebespaar wird?« Er sah über die Schulter zu mir und lächelte dünn. »Aus ihr und mir wird kein Liebespaar. Ich habe ihr nur in einer Nacht, die ihr besonders kalt und dunkel vorkam, ein wenig Wärme gegeben, das ist alles.«
    »Moro, du belügst dich selbst.«
    Er blies das Flämmchen aus. Sein Gesicht war plötzlich ein undurchdringlicher Schatten in der Dunkelheit der Küche. Ich sah einen tanzenden grellen Abdruck der Flamme vor Augen; ich hatte zu lange in sie hineingesehen.
    Moros Stimme kam hinter dem Geisterbild hervor. »Schlafen Sie gut«, sagte er.
    Fiuzetta lag neben der Tür zu unserer Kammer, lediglich in eine dünne Decke gehüllt. Ich stellte das Öllämpchen ab und kauerte mich neben sie.
    »Es ist doch Unsinn, sich hier draußen auf den harten Boden zu legen«, sagte ich leise. »Es gibt keinen Grund, sich zu schämen. Fiuzetta?«
    Sie zog die Decke über ihren Kopf und wandte sich ab. Ich stand seufzend auf. Dann wand ich mich aus meinem Mantel und breitete ihn über sie. Ich blies das Licht aus und trat leise an ihr vorbei in die Kammer.
    Als ich nur wenig später im Morgengrauen die Kammer wieder verließ, um Paolo Calendar aufzusuchen, lag mein Mantel leer vor der Tür. Fiuzetta war verschwunden.

2
    Die Stadt war an diesem Morgen hektisch und voller Leben. Geschäfte dulden keine längere Pause; es waren ebenso viele eilig dahinstrebende Patrizier wie Arbeiter unterwegs, und der Verkehr auf dem Canàl Grande war sicherlich nicht weniger dicht als zur Mittagszeit. Irgendwo zurrten ein paar barcaiuli mehrere Gondeln aneinander, um über ihnen das Banner mit Leonardo Faliers Familienwappen zu entrollen und in der Lagune spazieren zu fahren: auch Faliers Wahlkampf duldete keinen Aufschub. Die Luft war frisch und klar, und selbst das stillstehende Wasser der kleinen rii hatte noch nicht begonnen, seinen brackigen Duft zu verströmen. Die Fassaden der Häuser, die Kirchturmspitzen und der dichte Wald an Kaminen auf den Dächern glänzten in der Morgensonne, die Schatten in den Gassen waren rauchblau und die sonnenbeschienenen Gebäudeflanken rosenrot. Wären die vielen Menschen nicht gewesen, hätte man sich wie Parzival wähnen können, der zum ersten Mal die Gralsburg betritt und dem vom Glanz geblendet die Augen tränen. Der Vergleich kam mir nicht von ungefähr in den Sinn: Ich fühlte mich wie der sprichwörtliche Narr, der sich einer Aufgabe stellt, die er nicht einmal halb versteht; und wie der Berg Montsalvatsch, so war auch Venedig ein herrliches Traumgebilde, in dessen Innerem versteckt die Krankheit lauerte.
    »Wohin gehst du denn schon wieder, Peter?«, hatte Jana im Halbschlaf gemurmelt, als ich aus dem Bett kroch. Ich hatte sie mit einem Kuss auf die Stirn beruhigt, und sie war zu meiner Erleichterung wieder eingeschlafen. Ich war aus der Herberge geschlichen wie ein Dieb, froh, dass ich dabei niemandem über den Weg lief. Aus der Küche hatte ich Rumoren gehört – Moro oder Clara Manfridus. Ich hatte mich beeilt, aus der Eingangstür zu kommen, bevor er oder sie auf mich aufmerksam wurden.
    Der Zinnenkranz des Dogenpalastes leuchtete wie eine Krone aus Feuer über der beschatteten Westfassade; die Goldbeschläge auf den Kuppeln und Bögen des Markusdoms warfen Lichtblitze über den Platz. Der Markuslöwe und der heilige Theodor auf der Piazzetta standen in der Sonne, ihre Säulen warfen Schlagschatten über das rote Pflaster und über das wirre Schattennetz, das die Masten der Schiffe am Kai über den Boden malten. Niemand hielt mich auf, als ich durch das protzige Tor zwischen dem Dom und dem Dogenpalast schritt und in das Obergeschoss des Gebäudeflügels vordrang, in dem die Arbeitszimmer der Staatsanwälte lagen.
    Paolo Calendar war nirgends zu finden. Schließlich fasste ich mir ein Herz und sprach einen der avogardi an, der in seiner schwarzen Robe an einem schweren Tisch hockte und versuchte, genügend wach zu

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