Die schwarzen Wasser von San Marco
kleinen, flachen Boot, das reglos auf der Oberfläche eines Meeres dümpelte. Caterina stand auf dem Wasser, als ruhten ihre bloßen Füße auf zuverlässigem Stein. Sie sah mich an und streckte die Hände nach mir aus.
Ich kann dir nicht helfen, sagte ich.
Ihre Füße sanken bis zu den Knöcheln ein, und dann begann ein langsamer, unaufhaltsamer Abstieg in das stumpfgraue Wasser. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, ihre Arme blieben nach mir ausgestreckt, doch schon waren ihre Knie unter Wasser, dann ihre Beine, ihre Hüften. Ihr Gewand wölbte sich nicht im Wasser auf, wie es üblich ist, sondern versank mit ihr wie die steinernen Falten in der Toga einer Marmorstatue.
Mir sind die Hände gebunden, erklärte Calendar, der mir gegenüber in dem Boot saß. Ich sah, dass er sich auf der anderen Seite hinauslehnte und mit beiden Händen die Arme eines schwarzhaarigen Jungen umklammerte, der sich am Bootsrand festhielt.
Ich drehte mich wieder zu Caterina um, aber sie war bereits verschwunden. Weit unter der Wasseroberfläche sah ich den vagen Schimmer ihres Gewandes. Ich beugte mich hinaus in der Hoffnung, eines ihrer Handgelenke fassen und sie wieder nach oben ziehen zu können, doch ich zerstörte das empfindliche Gleichgewicht des flachen Bootes. Es kippte mit unaufhaltsamer Langsamkeit und warf mich in das Wasser, das mir mit Eiseskälte in die Lungen schoss und mir die Luft abschnürte und mich hinter der versinkenden Caterina her in die Tiefe zerrte, bis das letzte Licht um mich herum verschwand.
Ich schlug die Augen auf und sah den Deckenbalken über mir. Die Kälte des Wassers war immer noch überall, doch sie begann zu weichen. Jana hatte sich wieder auf die Seite gedreht und schlief lautlos. Ich atmete aus, dann schwang ich vorsichtig die Beine aus dem Bett. Ich bildete mir ein, draußen am östlichen Himmel das ganz leichte Grau einer Dämmerung zu sehen, ich konnte kaum länger als eine Stunde geschlafen haben. Aus der Wärme des Bettes heraus fühlte sich die Kammer überraschend kühl auf der nackten Haut an. Ich warf einen Blick zu der dunklen Ecke mit der Matratze hinüber, aber dort bewegte sich nichts. Dann erkannte ich, dass nur noch Julia dort lag. Meine Beinkleider fand ich dort, wo ich sie hatte fallen lassen. Ich tastete mich mehr, als dass ich sehen konnte, in sie hinein, warf meinen kurzen Mantel über meinen bloßen Oberkörper und schlich aus der Kammer.
Ich hätte die Öllampe nicht löschen sollen, die Moro mir gegeben hatte. Doch nach dem Treppenabsatz im ersten Geschoss der Herberge sah ich ein trübes Licht heraufleuchten, und ich folgte ihm über die Stufen hinunter, ohne meinen Weg mit den bloßen Zehen ertasten zu müssen. Das Licht kam von einer weiteren Öllampe, die auf einem der Tische in der Schankstube stand. Ich erkannte Moros ebenholzschwarzes Gesicht in der Dämmerung und das helle Hemd Fiuzettas, die auf einer der letzten Stufen saß. Beide drehten sich um, als sie mich kommen hörten. Moro wirkte wie jemand, der sich sicher gewesen war, alles zu kennen und durch nichts erschüttert werden zu können, doch gerade etwas gehört hat, das ihn dieser Überzeugung beraubte.
»Sag es ihm«, drängte er Fiuzetta.
»Was soll sie mir sagen?«
Fiuzetta schüttelte den Kopf, ohne mich anzusehen. Moro seufzte und starrte verdrossen in das kleine Flämmchen der Öllampe. Ich sah von einem zum anderen, dann kletterte ich vorsichtig die letzten Treppenstufen herab, drückte mich an Fiuzetta vorbei und setzte mich an einen leeren Tisch.
» Was soll sie mir sagen?«
Schlagartig fiel mir ein, dass es um Janas Gesundheitszustand gehen konnte, und mein Mund wurde trocken.
»Fiuzetta.« Moro sprach langsam in meiner Sprache, damit ich jedes Wort verstand. »Er hat damit überhaupt nichts zu tun, und trotzdem will er helfen. Wie viel mehr geht es dich an?«
»Keiner darf es wissen!«, stieß Fiuzetta nach ein paar Sekunden hervor.
»Du hast es mir doch auch erzählt.«
»Das ist etwas anderes. Du bist … du bist …«
»Ich bin ein Sklave. Ein genauso armes Schwein wie du.«
»Richtig!«, fuhr sie auf. »Es ist egal, was du weißt, weil keiner dir zuhören wird. Ihm wird man zuhören.«
»Ich dachte, Vertrauen sei kein Problem«, sagte ich. Fiuzetta sah zu mir herüber und wandte den Blick gleich wieder ab.
»Du brauchst dich doch nicht zu schämen«, erklärte Moro. »Du trägst an nichts die Schuld.«
Fiuzetta schüttelte den Kopf, den Blick noch immer gesenkt.
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