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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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den dunklen Parkettboden von Raras Saal. Calendar ahmte seine Haltung unwillkürlich nach, mit abgespreizten Armen und jederzeit sprungbereit. Ich sah, dass er unbewaffnet war. Ich griff nach dem kleinen Dolch in meinem Gürtel, doch abgesehen davon, dass er nicht einmal einem Stück gebratenen Fleisch sonderlich gefährlich war, stand Ursino zwischen Calendar und mir. Ich konnte ihm das kleine Ding hinüberwerfen, doch den Moment der Unachtsamkeit Calendars würde Ursino nutzen. Ich klammerte die Hand um den Griff des Dolchs und versuchte, die beiden zu umrunden.
    Calendar keuchte etwas auf Venezianisch. Ursino antwortete ihm mit einem Sprühregen aus Blutstropfen. Calendars Gesicht nahm einen Ausdruck an, der mir sagte, dass nur einer den Kampfplatz lebend verlassen würde.
    »Paolo, nein«, rief ich, »ich bin sicher, er weiß etwas über …«
    Calendars Blick irrte ab, und wie ich befürchtet hatte, nutzte Ursino seine Chance. Das Messer zuckte nach vorn. Calendar stieß einen Schrei aus und versuchte, auszuweichen. Das Messer fuhr unter seiner Achsel durch und zerfetzte seinen Ärmel. Ursino taumelte seinem Stoß hinterher. Calendar drehte sich zur Seite und umklammerte Ursinos rechten Arm. Ihre beiden Gesichter waren sich plötzlich sehr nahe. Unter der blutverschmierten Maske, die Ursinos Züge bedeckte, sah ich, dass der große, bullige Mann Calendar in die Augen blickte und erkannte, dass er einen Fehler begangen hatte. Dann bewegte Calendar seine Arme mit einem harten Ruck gegeneinander, und ich hörte das Krachen, mit dem Ursinos Ellbogengelenk brach.
    Der Riese brüllte auf und machte sich frei. Das Messer fiel klirrend zu Boden. Calendar bückte sich danach, aber Ursino stieß ihn mit dem ganzen Körper beiseite und griff es mit der linken Hand. Sein rechter Arm hing in einem unnatürlichen Winkel vom Ellbogen herab. Ursino fuchtelte mit dem Messer in Calendars Richtung; dieser bückte sich und versetzte ihm einen Faustschlag in den Magen. Ursino wandte sich zur Flucht. Rara wich ihm kreischend aus. Calendar setzte hinterher und hatte keine große Mühe, den ungeschickt mit der linken Hand geführten Messerstichen zu entkommen. Ursino sprang auf das Fenstersims und schwang einen Fuß, um Calendar gegen den Kopf zu treten, doch Calendar fing den Fuß ab.
    »Nein!«, schrie ich auf.

4
    Calendar stieß den ausgestreckten Fuß seines Gegners mit aller Kraft zurück. Ursino fiel gegen die Fensterscheibe. Der Bleirahmen konnte sein Gewicht nicht halten und gab nach, und Ursino stürzte in einem Regen aus splitternden Butzenscheiben rücklings aus dem Fenster. Calendar fasste nach, aber es war zu spät. Ich hörte den dumpfen Aufprall draußen auf dem Pflaster und eilte zu Calendar hinüber.
    »Sind Sie verletzt?«, keuchte ich. Er schüttelte den Kopf. Wir beugten uns beide hinaus. Ursino lag ein Stockwerk tiefer auf dem Gesicht. Das Messer hatte er verloren; es funkelte eine ganze Strecke entfernt auf dem Pflaster. Ursino stöhnte leise. Unter seinem Kopf bildete sich eine träge größer werdende Blutlache.
    Calendar drehte sich um und ließ sich gegen das Fenstersims sinken. Rara stand kreidebleich noch immer dort, wo sie Ursinos Flucht ausgewichen war. Ihre Hand war um ihren Hals gekrallt. Calendar stieß sich vom Fenstersims ab und stapfte steifbeinig zu ihr hinüber. Seine Stiefel knirschten auf ein paar Glasscherben, die Ursinos um Halt rudernde Hände in den Saal geschleudert hatten. Er packte sie am Arm. Sie leistete keine Gegenwehr. Ich konnte hören, wie draußen ein paar Leute zusammenliefen und angesichts des besinnungslosen Mannes draußen in seinem Blut erregt zu rufen begannen. Im Haus blieb alles still. Die Mädchen mussten die Geräusche der Auseinandersetzung gehört haben; sie kauerten sich vermutlich auf ihren Lagern zusammen und waren stumm vor Angst.
    »Ohne Matteos Dummheit hätte ich tatsächlich nichts gegen Sie in der Hand gehabt«, sagte Calendar schwer atmend. »Aber da gerade ich es war, der ihn beim letzten Mal verhaftet hat, konnte er wohl nicht klar denken. Nun, Pech für Sie. Einer Ihrer Dienstboten hat einen Polizisten angegriffen, und ich habe dafür einen Zeugen.«
    Sie sah ihn höhnisch an, machte aber keine Anstalten, sich loszureißen. »Woher sollte ich denn wissen, dass mein Diener gewalttätig wird?«, rief sie. »Ich habe ihn doch erst vor ein paar Tagen eingestellt. Daraus kannst du mir keinen Strick drehen, wenigstens keinen, der lang genug

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