Die schwarzen Wasser von San Marco
überflüssige Mauerhöhe war kaum hüfthoch und zu nichts zu gebrauchen als einem zusätzlichen engen, niedrigen Lagerraum, der angesichts des geräumigen Trockenspeichers höchst unsinnig war. Rara hatte dem Zwischenraum einen bei weitem wirkungsvolleren Zweck verliehen. Meine Haare stellten sich auf, als ich daran dachte, hier mehr als nur eine Stunde verbringen zu müssen. Die Hitze war erdrückend; im Winter würde die Kälte beißen, im Frühjahr und Herbst die Feuchtigkeit in alle Glieder dringen.
Sie hatten Caterina einfach hineingleiten lassen und sich nicht mehr um sie gekümmert. Es lagen zerrissene Decken und verschimmelte Kissen als Unterlage hier, und sie hatte noch so viel Kraft besessen, sich hineinzurollen. Der Geruch war unbeschreiblich, das schale Aroma angetrockneten Blutes mehr als durchdringend. Ich berührte vorsichtig ihre Schulter und drehte sie herum. Sie atmete so flach, dass ich die hohle Hand vor ihren Mund halten musste, um den Lufthauch zu spüren. Sie war am Leben. Ich zog sie nach vorn und hievte sie nach oben in Calendars Arme. Er richtete sich mit dem schlaffen Körper in seinen Armen auf, und ich kroch schweißgebadet heraus. Erst als mir schwarz vor Augen wurde, merkte ich, dass ich seit geraumer Zeit die Luft angehalten hatte. Calendar presste Caterinas Körper an sich.
»Ich konnte sie nicht gut zu den anderen Mädchen legen«, hörte ich Rara süßlich sagen. »Die naiven Seelen. Es wäre Panik ausgebrochen.«
Ich warf ihr einen Blick zu, und sie schloss den Mund und zog sich ein paar Schritte zurück. Calendar erklärte den Wachmännern etwas mit halblauter Stimme. Einer von ihnen rannte los, während die restlichen drei Rara in die Mitte nahmen. Ich streckte die Arme aus, und Calendar übergab mir das Mädchen wieder. Einer der Wachmänner schluckte, als er in Caterinas Gesicht sah. Calendar nahm einen herabhängenden Fetzen ihres Leinenkleides und verhüllte es notdürftig. Ich trug sie die Treppe hinunter und in den Saal und versuchte, nichts zu fühlen. Ich machte keine Anstalten, sie zu Bewusstsein zu bringen. Vielleicht würde dies niemals mehr jemandem gelingen. Die physischen Verletzungen sahen schlimm aus, aber sie waren oberflächlicher Natur; was ihrer Seele geschehen war, ließ sich nicht einmal erahnen. Sie war durch die Hölle gegangen. Sie war noch immer dort. Mein Versuch, mir jegliche Gefühle zu versagen, blieb erfolglos. Der Wächter, der den Trockenspeicher verlassen hatte, kauerte mit einem zweiten, den er von der Gasse hereingeholt haben musste, neben einer aufgebrochenen Truhe, und sie wühlten einige Kleidungsstücke heraus.
Ich hörte mein Herz im Takt meiner Schritte schlagen. Ich hatte mich auf einen schlimmen Anblick vorbereitet, aber sich etwas vorzustellen und etwas wirklich vor sich zu sehen sind zweierlei Dinge. Ich meinte ein leises Wimmern zu hören und wusste im selben Moment, dass es nur die Erinnerung daran war, was ich aus dem verborgenen Gang in Chaldenbergens Haus vernommen hatte.
Calendar drückte die Tür zum Treppenhaus auf, und ich stieg ebenfalls hinunter, während er neben mir herging, sein Gesicht noch verschlossener als sonst. Die Menschen draußen auf der Straße wichen zuerst zurück und drängelten dann näher heran, als ich aus der Tür trat. Jemand langte herüber und versuchte, den Fetzen von Caterinas Gesicht zu nehmen. Calendar schlug ihn vor die Brust, dass er zwischen die Umstehenden flog und sich auf den Hosenboden setzte. Ich stieß mit den Füßen gegen etwas und blickte hinab und sah, dass ich gegen eine Schulter des leblosen Ursino getreten war und mit beiden Sohlen in seinem Blut stand. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich im nächsten Moment würde übergeben müssen, doch dann waren die atemlosen Wachen aus dem Saal heran, die ihre Spieße durch zwei von Raras Kleidern gesteckt und daraus eine behelfsmäßige Trage gebaut hatten, und mit ihrer und Calendars Hilfe legte ich Caterina hinein. Sie trugen sie ohne Verzug fort und stiegen dabei achtlos über Ursinos Körper. Die Menge starrte uns an. Ich schaute auf meine Hände und war erstaunt, Caterinas Blut nicht daran zu finden. Ich fühlte mich, als wäre ich über und über damit bedeckt. Ich spürte eine vage Erleichterung, Raras Gesicht nicht sehen zu müssen; ich war sicher, ich hätte darauf eingeschlagen, bis man mich von ihr weggezerrt oder bis meine Fäuste nur noch in totes Fleisch getroffen hätten.
Nachdem sich die Menge zerstreut hatte, nachdem
Weitere Kostenlose Bücher