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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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geschlagenen Augen – das ist der persönliche Stempel, den du Venedig bis jetzt aufgedrückt hast, nicht wahr, Matteo? Weswegen habe ich dich zuletzt ins Loch gebracht? Hast du nicht versucht, einen barcaiulo zu ertränken, weil er es sich nicht gefallen lassen wollte, dass du von der Uferpromenade hinab in seine Gondel gepinkelt hast?«
    Calendar war bei Matteo-Ursino angekommen und musterte ihn. Der Riese ließ den Kopf hängen und scharrte mit den Füßen über den Parkettboden. Ich versuchte, ihn und Rara gleichzeitig im Auge zu behalten.
    »Während du eingesessen hast, Matteo, ist deine alte Mutter gestorben, wenn ich mich recht erinnere. Du konntest nicht mal bei der Beerdigung dabei sein. Armer Matteo, armer Ursino, arme alte Mutter – sie hat dir einen Bissen mehr zugesteckt, wann immer sie konnte, und du gabst ihr nicht mal das letzte Geleit. Die Gefängniswärter haben mir verraten, du hast geheult wie ein Wolf, als sie es dir erzählten. Und ich dachte, du hättest es nun verstanden – als du die Arbeit im Arsenal fandest und man überall hörte, wie fleißig du seist und dass das Misstrauen, das man dir anfangs entgegenbrachte, völlig ungerechtfertigt gewesen sei.«
    Ich horchte auf. Man hatte den aus dem Gefängnis entlassenen Ursino als Hilfsarbeiter im Arsenal eingestellt; vermutlich einer von den sozialen Gnadenakten, die die Einflussreichen dann und wann zu vollbringen versucht waren. War er noch im Arsenal angestellt gewesen, als Pegno dort ertrank?
    »Und jetzt finde ich dich hier wieder, Matteo. Was hat deine Mutter dir anstatt der Muttermilch eingeflößt, dass das Verbrechen so tief in dir sitzt?«
    Calendar schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ließ Ursino stehen.
    In genau jenem Moment explodierte Ursino in einer lang eingeübten Bewegung und packte Calendar an der Kehle.
    Der Polizist keuchte erstickt und versuchte sich zu befreien. Ursino hatte einen Arm um Calendars Hals geschlungen und presste den anderen Arm gegen seinen Nacken. Calendar würde entweder ersticken, oder der bullige Mann würde ihm das Genick brechen. Rara stieß einen triumphierenden Schrei aus. Ursino wirbelte Calendar herum, und ich konnte in das rot anlaufende Gesicht des Polizisten sehen und die funkelnden Augen Ursinos, der mit aller Macht presste. Ursino hatte über seine Chancen nachgedacht und dann den Gefährlicheren seiner beiden Widersacher angegriffen: Calendar. Ich war nur ein alter Kaufmann, der vermutlich um Gnade winselnd zu Boden sank, sobald der Polizist erledigt war. Ursino schien meine Gedanken zu lesen, denn er blickte auf und sandte mir über den Scheitel des verzweifelt kämpfenden Calendar hinweg ein verächtliches Grinsen zu.
    Ich schlug ihm mit einem raschen Faustschlag die Nase ein.
    Während meiner Tätigkeit als Untersuchungsbeamter für Bischof Peter hatte ich zwar nicht gelernt zu kämpfen. Aber ich hatte gelernt, dass man schnell sein muss, wenn es doch zum Kampf kommt, und wo es besonders schmerzt, wenn man mit der Faust trifft. Außerdem hatte ich gelernt, dass man einem getroffenen Gegner keine Besinnungspause lassen darf. Ursino heulte auf; ich schlug mit der anderen Faust auf dieselbe Stelle. Ursinos Gesicht war auf einmal voller Blut, und er ließ Calendar los und warf sich nach hinten. Mein dritter Schlag ging ins Leere und riss mich halb in Calendars Arme. Calendar würgte und hustete und stieß mich zurück. Er wirbelte herum, das Gesicht noch immer hochrot, und hob beide Fäuste. Ursino krümmte sich, die Hände vor das Gesicht geschlagen.
    »Passen Sie auf!«, rief ich Calendar zu, doch er sprang zu Ursino hinüber und gab ihm einen weit ausholenden Faustschlag auf den Hinterkopf. Ursino sank auf ein Knie. Calendar keuchte vor Wut und holte erneut aus.
    Ursino kam wieder in die Höhe. Ein Messer schimmerte matt in seiner blutverschmierten Faust. Sein Gesicht sah schrecklich aus. Er stieß nach Calendar und verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Der Polizist sprang beiseite, Ursino folgte ihm, stieß ein zweites Mal daneben und stolperte zwischen die Truhen. Ich machte einen Schritt auf ihn zu, und er hieb mit dem Messer nach meinem Gesicht, dass ich glaubte, den Luftzug zu spüren. Ich wich zurück und fiel ebenfalls über eine der Truhen.
    »Lass ihn!«, krächzte Calendar. Ursino wandte sich wieder ihm zu und kam auf die Füße. Er stand in gebückter Haltung da und ließ das Messer kreisen. Sein Atem röchelte durch das gebrochene Nasenbein; grellrotes Blut tropfte auf

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