Die schwarzen Wasser von San Marco
Ursino fortgeschafft worden war, nachdem die drei Wachen Rara abgeführt und andere Bewaffnete die Mädchen befreit hatten, die sich ängstlich in den Zimmern verkrochen hatten; nachdem ganz zum Schluss jemand aus einem Sack ein paar Hand voll Sand über das Blut auf dem Pflaster geschaufelt hatte, saßen Calendar und ich noch immer auf dem niedrigen steinernen Sockel, der zu Raras Eingangstür hineinführte. Ab und zu kam jemand, um Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, und warf uns scheue Blicke zu. Die Vormittagssonne hatte die Schatten bis fast zu den Füßen der Häuser verdrängt, und ich spürte die Wärme, die über das Pflaster zu uns herankroch. Mir war, als wäre bereits ein ganzer Tag vergangen, an dem ich mit Steinen in den Armen einen Berg hinaufgestiegen war.
»Werden sie in dem Klosterhospital, in das Sie Caterina haben bringen lassen, Fragen stellen?«, erkundigte ich mich.
Calendar schüttelte den Kopf. »Es sieht nicht so aus, als würde das Mädchen in absehbarer Zeit in der Lage sein, mit seinem Bruder zu sprechen«, sagte er dann.
»Es sieht auch nicht so aus, als würde es so leicht sein, Falier mit den nötigen Informationen zu versorgen, um sich hier als moralischer Erneuerer aufzuspielen«, erwiderte ich.
Calendar rieb sich über den Nasenrücken.
»Wenigstens haben wir diesem Ungeheuer das Handwerk gelegt«, seufzte er. »Man könnte sagen, das war es wert.«
»Was tun wir jetzt?«
Calendar richtete sich auf. Er streckte die Beine durch, ließ den Kopf kreisen und blinzelte dann langsam.
»Es gibt nichts zu tun, und es gibt kein Wir«, sagte er und schaute die leere Gasse hinab. »Sie kehren zu Ihrer Gefährtin zurück und nehmen sie mit nach Hause.«
»Sie wollen aufgeben?«
»Ich habe mich von Anfang an nicht mit der Idee anfreunden können, mit einem Mann wie Falier zu fraternisieren. Und jetzt haben wir nicht einmal etwas in der Hand, das ihn interessieren könnte.«
»Rara wird irgendwann reden – schlimmstenfalls bei der peinlichen Befragung.«
»Wann wird die stattfinden? Wenn ich nicht plausibel machen kann, dass es in ihrem Fall um das Interesse der Republik geht und nicht nur um verbotene Zuhälterei, kann es Monate dauern. Bis dahin hat Barbarigo mich zehnmal fertig gemacht.«
»Dann versuchen wir einen anderen Weg …«
»Für Sie gibt es nur den Weg nach Hause.«
»Paolo, da ist immer noch die Verbindung zu Ursino. Es ist doch kein Zufall, dass er bis zu dem Zeitpunkt im Arsenal gearbeitet hat, als Pegno …«
Er trat auf das Pflaster der Gasse hinab und drehte sich um, sodass er mich ansehen konnte.
»Hören Sie auf, mich Paolo zu nennen«, knurrte er. »Und hören Sie endlich auf, einen Fall zu konstruieren, wo keiner ist.«
»Hören Sie auf, sich selbst Leid zu tun«, entfuhr es mir.
Seine Augen weiteten sich. Er beugte sich plötzlich nach vorn und packte mich an meinem Wams, doch er brauchte mich gar nicht in die Höhe zu zerren. Ich sprang auf und umklammerte seine Handgelenke. Wir waren fast gleich groß.
»Alles, was wir brauchen, ist das Verbindungsglied!«, rief ich. »Alles, was wir brauchen, ist Fratellino, der uns sagt, was er wirklich gesehen hat. Wir sind so nahe dran!«
»Ich bin so nahe dran, meine Existenz endgültig zu verlieren!«, schrie er. »Was riskieren Sie?«
»Ich habe meine Haut riskiert in einem Fall, der mich überhaupt nichts angeht!«
»Warum haben Sie das nur nicht schon eher bemerkt?«
»Wenn ich mich rausgehalten hätte, würde Caterina dort oben verrecken wie ein Tier in der Falle!«
»Was glauben Sie, wie viel Schlechtigkeit in diesem Moment auf der Welt passiert, und Sie können nicht eingreifen? Und die Menschheit überlebt es doch?«
»Paolo, ich kann nicht glauben, dass Sie das gesagt haben.«
»Hören Sie endlich auf, mich Paolo zu nennen!«
»Wie soll ich Sie denn sonst nennen?«, schrie ich mit noch größerer Lautstärke als er. »Bornierter Idiot?«
Er starrte mir in die Augen. Sein Gesicht war gerötet. Ich wusste, wie ich selbst aussah: die Augen funkelnd und die Haare gesträubt. Calendar presste die Lippen zusammen und fletschte dann die Zähne. Sein Blick irrte ab und fand wieder zu meinem zurück. Ich sah, wie er sich mühsam beruhigte. Er atmete tief durch, und sein Griff an meinem Wams lockerte sich. Er räusperte sich.
»Hinter Ihnen steht ein kleiner Junge«, sagte er mit ruhigem Ton.
»Was?«
»Eine von diesen Gassenratten.«
»Was will er?«
»Wir sollten ihn fragen.«
Ich ließ
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