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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Fackeln und Ölfeuern auf und ab schritten, waren vom Licht um sie herum geblendet, und sowohl Ursino als auch die Jungen bewegten sich mit der lautlosen Sicherheit, die sie sich im Lauf ihres Lebens angeeignet hatten. Ursinos Freund, der sie als Einziger begleitete – die Männer aus dem Boot waren bei der Anlegestelle geblieben –, fiel zuweilen zurück, obwohl er nichts zu tragen hatte.
    Dann begann der vermeintliche Leichnam, den sie schleppten, zu husten und zu stöhnen und sich schwach zu bewegen. Ursino und die Jungen erstarrten.
    Ursino begann mit seinem Freund zu schimpfen: »Zum Teufel, du hast mir doch gesagt, dass er tot ist!«, oder etwas Ähnliches. Sein Freund blieb gelassen: »So gut wie tot, habe ich gesagt, wenn es dir so nicht gefällt, dann erledige doch du den Rest.«
    Ursinos Freund sah sich um. Der Rio della Vergine hatte einen schmalen Nebenarm, der direkt zwischen der Westmauer des Klosterbaus und dem östlichen Damm des Arsenals nach Norden hinausführte, ein Wasserlauf, der nicht breiter war als manche Gasse im Herzen der Stadt und nicht viel mehr als ein schwarzes Maul, das sich zu ihrer Rechten öffnete. Er trieb sie dort hinein. Sie wateten ins Wasser, das kaum hüfthoch war, dessen Grund aber aus verfaulten Pflanzen und Schlick bestand und an ihren Füßen zerrte. Ursino und die Jungen waren barfuß. Ursinos Freund trug Stiefel und schimpfte leise vor sich hin, während er seinem eigenen Einfall folgte. Das Wasser gurgelte unter ihren Schritten, doch die Wachtürme waren zu weit entfernt, als dass man es bis zu ihnen hätte hören können. Sie drangen ein paar Mannslängen in diesen Seitenkanal ein, dann ließ Ursinos Freund sie anhalten. Fratellino und Ventrecuoio hatten die ganze Zeit über unter dem Gewicht des in das Öltuch geschlagenen, sich schwach bewegenden Körpers geschwitzt, weil sie ihn auf ihren Schultern getragen hatten, um ihn aus dem Wasser heraus zu halten. Jetzt erwies sich, dass ihre Rücksicht geradezu lächerlich gewesen war. Ursino und sein Freund nahmen ihnen die Last ab und tauchten sie unter die Wasseroberfläche, und sie wurden zu entsetzten Zeugen, wie das bisschen Leben, das in den verhüllten Körper zurückgekehrt war, endgültig daraus vertrieben wurde.
    Nach einer langen Weile schienen die beiden Männer sicher zu sein, dass der Mord getan war; sie hievten das nun noch schwerer gewordene Bündel auf die Schultern der Jungen, und nach einer kurzen Diskussion setzten sie ihren Weg durch den Seitenarm des rio fort.
    Ursino kannte das Gelände gut. Sie transportierten die Leiche weiter, bis sich plötzlich eine Niederung im Damm des Arsenals auftat: entweder ein Erdrutsch, den noch niemand repariert hatte, oder eine Stelle, die noch nicht genügend aufgeschüttet und befestigt war. Von den beiden Wachtürmen auf dem Norddamm des Arsenals war sie hervorragend einzusehen. Ursino schien sich jedoch darauf zu verlassen, dass die Wachen ihre Aufmerksamkeit nicht auf diese Stelle richteten. Sie krochen auf allen vieren hinüber und zerrten den eingewickelten Leichnam hinter sich her. Drüben angelangt, ließen sie sich auf Ursinos Geheiß ins Wasser der Darsena gleiten, des großen nördlichen Sees auf dem Gelände des Arsenals. Das Wasser war tief, sodass sie sich am Ufer festkrallen mussten, um nicht zu versinken. Sie halfen Ursino, das Öltuch aufzuschnüren. Die Leiche eines Jungen befand sich darin, nicht viel älter als sie.
    »Pegno!«, stieß ich hervor. »Diese Dreckskerle!«
    Der Rest von Fratellinos Geschichte war schnell erzählt. Ursino zückte ein Messer und machte sich mit zusammengebissenen Zähnen daran, dem Gesicht des Toten Schnitte zuzufügen, damit sich die Fische schneller dafür interessierten. Fratellino und Ventrecuoio wandten sich schaudernd ab. Ursino stieß den Leichnam so weit hinaus, wie er konnte, und beobachtete, wie er unter die Wasseroberfläche glitt und versank. Danach kehrten sie mit Ursinos Freund zurück zu den beiden Männern, die das Boot hergerudert hatten.
    Fratellino hatte keinen der Männer jemals zuvor gesehen; es war sinnlos, ihn nach ihren Namen zu fragen.
    »Sie brauchten Ursino, um den Toten in das Arsenal zu schmuggeln; wahrscheinlich bezahlten sie ihm einen Batzen Geld, da er nach seinem unerlaubten Verschwinden nicht mehr dorthin zurückkehren konnte.«
    »Ursino suchte sich eine neue Anstellung, die seinen kriminellen Fähigkeiten entsprach: als Raras Mann fürs Grobe«, vollendete ich.
    »Ich frage mich

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