Die schwarzen Wasser von San Marco
sicherlich mit Kerzen und Fackeln hell erleuchtete Boot des Patriarchen sehen mussten – und er sie, worauf sie in Klagen und Jammern auszubrechen und den Bischof so zu einem Almosen zu nötigen gedachten. Es war bekannt, dass die Verachtung, die die Venezianer für den von Rom aufgezwungenen Bischof hegten, durchaus von diesem erwidert wurde; vielleicht würde er die beiden Jungen sogar, um sie über die schlechten Zustände in der Lagunenstadt auszuhorchen, in den Palast befehlen, wo sie sicherlich zu essen und trinken bekommen und möglicherweise etwas zu stehlen finden würden.
Doch es war nicht der Bischof, der sie entdeckte, sondern einer der Arbeiter des Arsenals, ein großer, muskulöser Mann mit dem Gesicht eines rohen Stücks Fleisch. Er hätte ebenso wenig hier draußen sein dürfen wie sie, doch anstatt sich mit ihnen zu verbünden, packte er sie und erklärte ihnen in unmissverständlichen Worten, dass er ihnen die Hälse umdrehen würde, wenn sie nicht auf der Stelle verschwänden.
»Matteo der Bär«, sagte Calendar. »Auch bekannt als Ursino.«
Nachdem Matteo seine Drohung ausgesprochen hatte, trat ein weiterer Mann auf sie zu und schüttelte missbilligend den Kopf. Er tat zuerst freundlich mit Fratellino und Ventrecuoio: Die Drohung würde nicht stimmen, und sie brauchten sich Ursinos wegen keine Sorgen zu machen. Tatsächlich sei er es, dessentwegen sie sich zu sorgen hätten, und die Hälse würden ihnen nicht umgedreht, wenn sie versäumten, sich aus dem Staub zu machen, sondern wenn sie nicht genau täten, was ihnen befohlen würde. Die beiden Jungen hatten den Mann niemals zuvor gesehen, zweifelten jedoch nicht daran, dass er es ernst meinte.
Eine Weile später näherte sich auf dem Canale di Castello ein Boot, das entweder aus dem Rio di Sant’Anna ein paar hundert Fuß weiter südlich oder direkt aus der Lagune gekommen sein musste. Das Boot trug keine Lichter, und es war eine kleine, flache batèla , wie man sie für Transporte auf den Kanälen verwendete. Es glitt lautlos heran, ein noch dunklerer Schatten auf dem schwarzen Wasser des Kanals, und es schien außer dem Bootsführer in seinem Heck und einem zweiten Mann, der im Bug kauerte, keine Besatzung zu haben. Es schob sich finster an der fackelbeleuchteten Anlegestelle des Bischofspalastes vorbei, glitt unter der hölzernen Brücke südlich des Rio della Vergine hindurch und stieß an einer staubigen Stelle am hiesigen Ufer an Land, wo Ursino und sein Gefährte es an Bug und Heck an passendem Gesträuch vertäuten.
Das Boot hatte eine Fracht, etwas in ein geöltes Tuch Gewickeltes, Unbewegliches, Schlaffes, das die vier Männer – Ursino und sein Freund und die beiden Kerle in der batèla – mit unterdrücktem Fluchen an Land zerrten. Fratellino und Ventrecuoio hatten zu oft gesehen, wie ein in ein Tuch geschlagener Leichnam weggetragen wurde, um nicht zu ahnen, welche Fracht das Boot mit sich führte: einen menschlichen Körper, entweder tot oder ohne Bewusstsein.
Als die Neuankömmlinge die beiden Jungen erblickten, entspann sich eine hitzige Diskussion zwischen dem, der sie bedroht, und dem, der im Bug gesessen hatte. Die Jungen wussten genau, dass diese Diskussion über ihr Leben entschied, und drängten sich ängstlich aneinander. Hätten nicht Ursinos schwere Pranken auf ihren Schultern gelegen, hätten sie ihr Glück versucht und wären geflohen. Schließlich gab der Mann aus der batèla nach. Er schenkte den Jungen ein widerwilliges Grinsen und setzte sich neben seinem Boot auf den Boden. Es schien, dass sich die Jungen ihr Leben mit einer Arbeit erkauft hatten, einer Arbeit, die Ursinos Freund für sie ersonnen hatte, als er ihrer ansichtig wurde.
Wenig später schleppten drei Gestalten den in das Öltuch eingeschlagenen Körper an den Mauern des Klosters entlang des Rio della Vergine in Richtung Arsenal: Ursino, Fratellino und Ventrecuoio. Die Ostseite des Arsenals war befestigt und von Türmen bewacht, und wenn es auch keinem Schiff und keiner Truppe, die zu einer Eroberung mächtig genug wäre, hätte gelingen können, unbemerkt bis hierher vorzudringen, so fielen doch drei einsame Gestalten, die sich im Schatten der Klostermauern hielten und gebückt auf dem schmalen Uferstreifen entlangschlichen, nicht weiter auf. Das wenige Licht, das von den Sternen kam, verwandelte das Gebiet in ein unübersichtliches Muster aus hellen Dachflächen und schwarzen Schlagschatten; die Augen der Turmwachen, die zwischen
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