Die schwarzen Wasser von San Marco
abgeändert und verwendet, um einen der abstoßendsten Charaktere meines Buches damit zu taufen. Hiermit leiste ich dem echten Herrn von den Chaldenbergen Abbitte; ich bin überzeugt, er war ein gottesfürchtiger Mensch und kompetenter Kaufmann der Renaissance, dessen Moralvorstellungen mit jenen seiner Zeit in bestem Einklang standen.
Als Handelsstadt war sich Venedig stets bewusst, dass zu guten Geschäften auch eine entsprechende Stimmung nötig ist. Während die von der Kirche ohne Aufbegehren bis ins sechzehnte Jahrhundert hinein geduldete Sklaverei den reichen Handelsherren genügend Nachschub an vollkommen rechtlosen Frauen lieferte, um ihr Verlangen zu stillen, mussten die meisten Gäste und die weniger Reichen (und diejenigen, denen der Sinn nach ausgefallenen Vergnügungen stand) mit der käuflichen Lust vorlieb nehmen. Schätzungen gehen von einer Anzahl von etwa zwölftausend Prostituierten im Venedig des Jahres 1500 aus – bei etwa 190 000 Einwohnern.
Die Regierung der Republik war bereit, diese Umstände zu tolerieren. Wie gesagt galt die Mehrung des Reichtums der »höchst erleuchteten Republik« als oberstes Ziel. Deshalb beschränkten sich die Räte darauf, die schlimmsten Auswüchse zu vermeiden. Der Höhepunkt der Versuche, verbrecherische oder als unnatürlich empfundene Sexualpraktiken zu verhindern, war eine Verordnung, die an Ärzte und Bader erging (1496) und sie zur Anzeige verpflichtete, wenn sie Anzeichen »sodomitischen« Verkehrs entdeckten; die erste staatliche Anordnung zur Denunziation, von der Venedig ansonsten Ende des fünfzehnten Jahrhunderts noch viele Jahrzehnte entfernt war.
Ein Höhepunkt war ebenfalls die Hinrichtung von Rara de Jadra. Man muss den venezianischen Gerichten zugute halten, dass sie dem Scharfrichter nicht nur rechtlose Bordellbesitzerinnen zuführten; es gibt – wenn auch dürftige – Protokolle über die Hinrichtung eines Mitglieds des Hauses Correr, eine der einflussreichsten Familien, wegen angeblich versuchter Vergewaltigung eines Jünglings. Das Urteil gegen Correr gilt mit seiner Entscheidung ohne Enthaltungen oder Gegenstimmen als eines der härtesten der gesamten venezianischen Kriminalgeschichte. Es ist jedoch auch zu bedenken, dass diese harten Strafen nur bei vielleicht einem Prozent vergleichbarer Delikte verhängt wurden. Erkennen wir die Bemühungen der Justiz an, einer von ihr als richtig empfundenen Moral zur Geltung zu verhelfen, selbst gegen die Widerstände ihrer eigenen Mitglieder, die sich aus eben den Namen rekrutierten, die wir in den Gerichtsprotokollen wiederfinden.
Das Vorbild des Dogen Pietro Mocenigo (1474–1476), der sich für ein kleines Vermögen türkische Zwillingsschwestern als Sklavinnen kaufte, dürfte die Anstrengungen der Staatsanwälte und Richter sicherlich kaum befördert haben. Die beiden jungen Mädchen, mit denen er fortan zusammenlebte, rafften ihn innerhalb von zwölf Monaten ohne jegliche Gewaltanwendung dahin.
Zollen wir unter anderem auch darum einem geradezu modernen Gesetz aus dem Jahr 1522 Respekt, das bestimmt, dass auch gegenüber einer Dirne von Vergewaltigung die Rede sein könne – sofern das Opfer noch keine sechzehn Jahre alt ist.
Mit Pietro Mocenigo kommen wir zu den historischen Personen, die neben Rara de Jadra und Heinrich von den Chaldenbergen in diesem Buch erwähnt werden.
Der Doge Giovanni Mocenigo , dem Jana ein Geschäft abgejagt hat, als er noch nicht zum nominellen Führer der Lagune gewählt war, ist der Nachfolger von Andrea Vendramin, dem eine ebenso kurze Regierungszeit beschieden war wie Pietro Mocenigo vor ihm. Giovanni Mocenigo war ein längerer Aufenthalt im Dogenpalast vergönnt. Ihm folgte im Jahr 1485 der Zehnerrat Marco Barbarigo , dem ich in meinem Roman den Besuch der Orgie im Haus des deutschen Kaufmanns angedichtet habe. Ich weiß nichts über seine Moralauffassung; die Szene bei Heinrich Chaldenbergen ist ausschließlich meiner dichterischen Fantasie entsprungen, und ich hoffe auf die Nachsicht des echten Marco Barbarigo, sollte ich in einem anderen Leben einmal auf ihn treffen.
Der Zehnerrat Leonardo Falier, der Nachkomme des usurpatorischen Dogen Marino Falier, ist jedoch erfunden. Die Familie Falier ist in Venedig ausgestorben; aus diesem Grund und wegen des Verhaltens des echten Marino Falier habe ich mir erlaubt, dem Charakter des rücksichtslosen Zehnerrats diesen Namen zu verleihen.
Das Elendsviertel, dessen Lage ich nach dem Studium eines alten
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