Die schwarzen Wasser von San Marco
Manfridus’ nach Venedig?«
»Wie kommt ein Mann überhaupt in die Sklaverei?«
Ich räusperte mich. War seine Zurechtweisung auch sanft gewesen, so hatte ich sie dennoch verstanden.
»Wo haben Sie sich denn heute so gemein verirrt, dass Ihnen nach einer Bootsfahrt noch immer der Schweiß auf der Stirn stand?«
»In San Polo.«
»Da haben Sie sich aber gleich eines der schwierigsten Viertel ausgesucht. Wo dort genau?«
»Ich habe keine Ahnung. Wenn ich nicht ständig mitten im Gedränge gewesen wäre, hätte ich gesagt, ich war, wo noch nie eines Menschen Fuß vor mir gewesen ist. Jedenfalls fühlte ich mich so.«
»Was war mit Monna Jana, wenn ich fragen darf? Ein Rückfall?«
Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er erklärte in aller Ruhe: »Sie sind zusammen mit Meister Marco aufgebrochen. Zurückgekommen sind er und Monna Jana ohne Sie. Ich kenne Marco, seit er im kurzen Hemd herumlief. Er hat ein starkes Verantwortungsgefühl. Er hätte sich nicht ohne Grund von Ihnen getrennt.«
»Jana wurde übel. Ich habe die beiden zurückgeschickt.«
»Warum sind Sie zurückgeblieben? Wegen Pegno?«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich verblüfft.
»Messèr Dandolo wollte Sie doch um Ihren Rat fragen. Das Haus von Pegnos Familie liegt in San Polo, am Canàl Grande.«
»Pegno war schon tot, als ich seinem Onkel zu sagen versuchte, dass ich ihm nicht helfen könne.«
Moro machte ein mitleidiges Gesicht. Ich konnte nicht entscheiden, ob es dem Toten oder seinem Onkel galt.
»Was weißt du über Pegno und seine Familie?«
»Wie kommen Sie darauf, dass ich mehr über die Dandolos wissen könnte?«
»Komm schon, Moro«, sagte ich und lächelte. »Du weißt mehr über alles hier Bescheid als sonst jemand, habe ich nicht Recht?«
»Vielleicht wollte Pegno zurück ins Arsenal, um mit seinem Vater wieder ins Reine zu kommen.«
»Waren sie denn zerstritten?«
»Andererseits hätte er wissen müssen, dass Fabio Dandolo schon vor drei Tagen abgesegelt ist. Nicht mal Pegno hätte das entgehen können, nehme ich an.« Er seufzte und sah mich an. »Fabio Dandolo ist nicht nur auf Kauffahrt gegangen; die Serenissima hat ihm zugleich ein paar diplomatische Aufträge erteilt. Messèr Fabio ist ein geschickter Mann, dem man die eine oder andere Mission schon einmal anvertrauen kann. Haben Sie gewusst, dass viele der aufsehenerregendsten Taten in der Geschichte dieser Stadt von Kaufleuten begangen wurden, angefangen von der Eroberung der Reliquie des heiligen Markus?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nun, jedenfalls hat man Messèr Fabio sogar ein größeres Schiff überlassen, was für eine simple Kauffahrt nicht gerade üblich ist. Währenddessen wird seines im Arsenal überholt. Kein schlechtes Geschäft für Messèr Fabio.«
»Dafür, dass das Arsenal ein so streng bewachter Ort ist, bist du ziemlich gut über die Geschehnisse dort informiert.«
»Im Arsenal arbeiten nur ausgesuchte Männer, auf deren starke Arme und verschlossene Münder Venedig sich seit zweihundert Jahren verlässt: Zimmerleute, Kalfaterer, Rudermacher, Schmiede, Segelmacher, Sägeleute – aber der eine oder andere Sklave läuft dort auch herum und leistet Hilfsdienste. Die Arbeiter reden nicht mit ihren Kollegen von außerhalb des Arsenals. Die Sklaven schon.«
»Was hast du von ihnen erfahren?«
Moro schüttelte den Kopf, als würde er sich noch im Nachhinein über eine besondere Dummheit wundern. »Messèr Fabio hat seinem Sohn angeboten, ihn auf diese Fahrt mitzunehmen. ›Angeboten‹ ist vielleicht nicht das richtige Wort. Messèr Enrico sollte für die Zeit der Abwesenheit Pegnos einen Schreiber aus Messèr Fabios Kontor zur Verfügung gestellt bekommen, der Pegnos Aufgaben wahrnahm. Pegno leistete dem Befehl seines Vaters natürlich Folge; er fand sich zwei Tage vor Abfahrt auf dem Schiff ein, das vor dem Arsenal vor Anker lag. Er sollte sich schon ein wenig an das Leben an Deck gewöhnen.«
»Vor fünf Tagen also. Was ist daran so unüblich, dass es deinen Freunden im Arsenal auffiel?«
Moro stieß ein bitteres Lachen hervor. »Am ersten Tag wurde Pegno krank; er opferte seine Morgenmahlzeit den Fischen, dann alles, was er sonst noch im Magen hatte – und was er im Darm hatte auch, wenn Sie verstehen. In der Nacht bekam er Fieber und weinte; am Morgen des zweiten Tages ließ ihn sein Vater an Land schaffen, und wie ich erfahren habe, hat er ihn nur deshalb nicht in hohem Bogen über Bord geworfen, weil der Junge so
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