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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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überzeugen, im Bett zu bleiben und nach der alten Frau zu schicken, die ich ihr besorgt habe. Also habe ich ihr eine Dienstmagd mitgegeben, die ihr den Weg dorthin zeigt.«
    »Dann geht es ihr schon wieder so gut, dass sie außer Haus gehen kann? Heute Vormittag …«
    »So etwas kommt und geht. Und Ihre Gefährtin hat zudem einen ganz besonderen Dickkopf.«
    »Clara, du redest von einem Gast«, rief Manfridus empört. Clara stieß ein verächtliches Geräusch hervor, raffte ihren Rock und polterte die Treppe hinunter. Manfridus, durch ihren barschen Ton sichtlich in Verlegenheit gebracht, folgte ihr nur zögernd.
    Nun hatte sich wenigstens eine Frage geklärt: Nicht ich war es, auf den Clara Manfridus ärgerlich war, sondern Jana. Was zwischen den beiden vorgefallen war, entzog sich jeder Vermutung; ganz besonders, wenn man in Betracht zog, dass Claras Ärger eher dem Zorn einer besorgten Freundin ähnelte als dem einer beleidigten Gastgeberin.
    »Wo lebt die alte Frau?«, rief ich Manfridus nach. Ich dachte an Moro und berichtigte mich: »Bei welchem campo ?«
    Der Campiello Incurábili lag im Südosten des Stadtsechstels Dorsoduro. Ich hatte mir die Wegbeschreibung Manfridus’ mehr schlecht als recht eingeprägt und protestierte, als der Bootsführer der gondola , die ich gemietet hatte, Anstalten machte, um die Spitze der Insel herumzurudern. Er hätte mich schon lange vorher absetzen sollen. Der Mann war taub gegen meine Flüche und schien entweder seinem eigenen Willen oder geheimen Anweisungen der Bootsführergilde zu gehorchen. Er bewegte sein zerbrechliches Gefährt mit unablässigem Gesang vorwärts, glitt in das Becken von San Marco hinaus und mit einer scharfen Südwestwendung in den Canale della Giudecca hinein, und als ich mich eben zu fragen begann, ob ich meine Forderungen ebenfalls singend vortragen sollte, legte er bei einem wuchtigen klosterähnlichen Gebäude an und machte eine einladende Handbewegung zum Land hin. Der Klosterbau beherbergte das Hospital der Unheilbaren.
    Ich marschierte durch eine düstere Gasse, zu deren rechter Seite die Flanke des Ospedale degli Incurábili aufragte wie eine Festungsmauer aus brüchigem Backstein und sich der ebenfalls backsteinernen Hausmauer gegenüber zuneigte; am Ende der Gasse lag der Campiello Incurábili, und ich war dem Bootsführer dankbar, dass er mir durch seinen Umweg das Labyrinth der calli , callette und calleselle erspart hatte, das ich hätte durchschreiten müssen, wenn er mich dort abgesetzt hätte, wo ich es wollte – nämlich auf dem gegenüberliegenden Ufer der lang gezogenen Insel.
    Die alte Frau, deren Dienste Clara Manfridus in Anspruch genommen hatte, wohnte direkt beim Klosterhospital. Weder die Nähe zu diesem Ort noch die Umgebung dienten dazu, meine Sorge um Jana zu beschwichtigen. Im Hospital siechten die unheilbar Kranken dahin, und wie mir Michael Manfridus erklärt hatte, wurde es allgemein als Zeichen großer Bußfertigkeit angesehen, wenn jemand sich bereit erklärte, die Unglücklichen dort zu pflegen. Die Häuser um den campiello herum, der nicht mehr war als ein großzügiger Anlegeplatz für die Boote, die sich in das Rinnsal von rio an seiner Westseite wagten, waren zwei bis drei Stockwerke hoch, schmucklos und lehnten sich zueinander über kaum schulterbreite Durchlässe hinweg. Die Fassaden entbehrten jeder architektonischen Feinheit, die Fenster schienen nicht mehr als mit verwitterten Läden verrammelte Ausgucke, und die Eingänge waren dunkle Löcher, aus denen die Gerüche des eben verzehrten Mittagsmahls drifteten. Die Düfte waren nicht gerade dazu angetan, meinen Appetit zu heben. Über den rio hinweg, weniger als einen Steinwurf entfernt, ertönte aus einer Ansammlung niedriger Schuppen das Hämmern eines Handwerkers. Ich sah die glänzenden Schnäbel mehrerer Gondeln über die Einfassung des Ufers ragen. Die Hausfassaden ließen genügend Platz für ein Stück blauen Himmel frei, aber dieses musste gegen die auf den Hausdächern zum Trocknen an langen Stangen aufgehängten Wäschestücke ankämpfen und verlor.
    Vor dem Eingang eines Hauses, das mit seiner Westflanke den rio einfasste, standen Jana, ihre Zofe Julia und das Dienstmädchen der Manfridus’. Jana redete auf eine junge Frau ein, und nach ein paar weiteren Schritten erkannte ich in ihr die Begleiterin der alten Heilkundigen. Als die Frauen mich kommen hörten, drehten sie sich um. Über Janas Gesicht huschte ein Schatten.
    Ich hatte die junge

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