Die schwarzen Wasser von San Marco
dir …«
»Sie kann dieser Arbeit im Moment aber nicht nachgehen.«
»Wenn sie sich eine Krankheit zugezogen hat, dann halt dich fern von ihr, besonders wenn es dir selbst nicht gut …«
»Sie ist schwanger«, unterbrach mich Jana ungeduldig.
»Das kommt schon mal vor bei dieser Art von Tätigkeit«, sagte ich genauso unwirsch. »Einem Holzknecht fällt auch ab und zu ein Ast auf den Kopf.«
»Sie ist schwanger, der Mann, der sie ausgehalten hat, hat sie auf die Straße gesetzt, sie versucht, nicht zusammen mit dem Kind in ihrem Leib zu verhungern, und alles, was dir dazu einfällt, ist ein blöder Vergleich!«
»Entschuldige, wenn ich für jemanden, den ich zweimal im Leben für jeweils eine Sekunde gesehen habe, nicht das gleiche Interesse aufbringen kann wie für dein Wohlergehen.«
»Du sollst mich nicht immer fragen, wie es mir geht. Da fühle ich mich sogar krank, wenn ich gesund bin.«
»Ich habe das Gefühl, du verheimlichst mir etwas«, platzte ich heraus.
Sie machte eine lange Pause. »Peter, ich …«
»Als ich dich ohnmächtig in der Sänfte fand, dachte ich im ersten Augenblick, mein Herz bleibt stehen. Wenn du das Gefühl hast, du bist ernsthaft erkrankt, dann sag es mir. Manfridus kann uns helfen, die besten Ärzte zu finden, und notfalls buche ich eine Schiffspassage, wenn dir der Landweg zu anstrengend ist, und bringe dich von hier weg. Du weißt doch, dass ich wie von Sinnen bin vor Sorge, dass dir etwas zustoßen könnte.«
»Ich bin nur erschöpft, weiter nichts. Vielleicht habe ich mir auch im Gefängnis in Florenz etwas geholt, das wäre ja kein Wunder.« Sie legte mir die Hand auf die Wange und lächelte. Einen Augenblick lang dachte ich, sie hätte mir etwas mitteilen wollen, aber etwas, das ich gesagt hatte, hatte sie wieder davon abgebracht. Ich versuchte in ihren dunklen Augen zu lesen. Alles, was ich wie stets darin sah, war der Himmel, der sich in ihnen widerspiegelte. »Tatsache ist, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst. Was hast du heute Vormittag herausgefunden?«
»Ich habe eine Lektion in venezianischer Orientierung erhalten«, brummte ich. »Sonst nichts.«
»Die toten Kinder …?«
»Enrico Dandolo, der Onkel Pegnos, ist beinahe bankrott. Sein Bruder Fabio, Pegnos Vater, ist so reich und bekannt, dass ihn die Serenissima auf seiner momentanen Kauffahrt sogar mit einer diplomatischen Mission betraut, vor deren Anbruch er – außer sich vor Zorn – Pegno von seinem Schiff weist, weil der Junge seekrank wird. Andrea Dandolo, Pegnos Bruder, hat sich vom Kloster dispensieren lassen und arbeitet sich mit solch einem Eifer in die Geschäftswelt der Familie ein, dass sogar die Leute darüber klatschen. Pegno Dandolo ist ertrunken, und jeder nimmt an, es geschah beim Versuch, heimlich ins Arsenal zu gelangen. Zwei Gassenjungen haben gestern geholfen, die Leiche von Pegno Dandolo zu identifizieren. Heute ist einer davon so tot wie Pegno selbst. Habe ich noch was vergessen? Bei den beiden Todesfällen taucht jedes Mal ein Polizist namens Paolo Calendar auf wie ein düsterer Engel, der vor unterdrückter Wut zu platzen scheint.«
»Wenn du meinst, dass es bei Pegnos Tod nicht mit rechten Dingen zugegangen ist, warum wendest du dich nicht an die Behörden?«
Ich sah sie an, ohne zu antworten. Vor uns öffnete sich ein campo , der direkt am Canàl Grande lag und uns einen fantastischen Blick auf das Herz von Venedig eröffnete, das sich am jenseitigen Ufer erhob. Manfridus’ Dienstmagd eilte an uns vorbei und winkte einem Bootsführer, der ihr verwegen zugrinste und auf uns zuzusteuern begann, um uns aufzunehmen. Die Sonne lag auf dem kleinen Platz und briet die Pflastersteine. Vor dem Kai, der bei San Marco begann, streckten sich die Masten von Dutzenden von Schiffen in den Himmel. Das von dort kommende Stimmengewirr wehte bis zu uns herüber.
Ich hatte vergessen, Jana zu sagen, dass ich noch immer das zerbrechliche Handgelenk des Gassenjungen in meiner Pranke fühlte und auf seinem toten Gesicht das Lächeln gesehen hatte, mit dem er mir quer über die Menge hinweg zu verstehen gegeben hatte, dass ich unter seinem Schutz stand.
»Peter?«
Der Bootsführer legte an und begann, den anwesenden Frauen Komplimente zu machen. Er bediente sich dabei einer ganzen Reihe von Sprachen, von denen er die Wörter beliebig zusammenstellte, bis Manfridus’ Dienstmädchen ihn auszuschimpfen begann. Er hatte seinen abenteuerlichen Strohhut abgenommen, den er nun in der
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