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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Frau, die sich am Tag zuvor auf der Treppe der Herberge an mir vorbeigedrückt hatte, kaum beachtet. Sie trug ihr Haupt diesmal unbedeckt, und als sie sich jetzt aus dem Hauseingang bewegte, erhellte der Glanz ihres Haars die Gasse, als sei ein Sonnenstrahl hineingedrungen. Es war durchgehend von einem goldschimmernden Blond, sogar Janas honigfarbenes Haar wirkte dunkel gegen ihres. Sie trug ein schmuckloses, pragmatisch geschnittenes Gewand aus hellem Leinen, das mehr wie ein Arbeitskittel wirkte als ein Kleid. Sie war kleiner als Jana und viel zierlicher, und obwohl auch Jana schlanker war als die meisten, wirkte die junge Frau neben ihr wie ein Mädchen. Ihr Gesicht war schmal, mit einer geraden, feinen Nase; sie war von überraschender Schönheit, wie eine der ätherischen Gestalten auf manchen Altarbildern, ein zart und geschlechtslos wirkender Engel, der auf dem dunklen Hintergrund eines Tryptichons aufschimmert. Sie nickte Jana zu und zog sich zurück, bevor ich näher gekommen war. Der schwersüße Duft des blumigen Parfüms, das ich schon im Treppenhaus der Herberge an ihr wahrgenommen hatte, lag noch in der Luft.
    Als ich mich Jana zuwandte, hatte sie ein fröhliches Lächeln aufgesetzt. Ich dachte an den kurzen Augenblick zuvor, als sich ihre Miene verdüstert hatte, und versuchte meine Verärgerung darüber zu verdrängen.
    »Clara Manfridus ist ganz schön verstimmt«, sagte ich. »Was hast du ihr denn getan?«
    »Getan? Nichts, von dem ich wüsste.«
    »Was suchst du hier, wenn es dir doch nicht gut geht? Warum hast du die Alte nicht zur Herberge kommen lassen?«
    »Heute Morgen ging es mir nicht gut. Jetzt fühle ich mich viel besser.«
    Sie strahlte mich an und hakte sich bei mir ein. Ich folgte ihr; beinahe kam es mir so vor, als wollte sie mich möglichst schnell aus der Umgebung der alten Frau fortschaffen. Wir traten in eine der nach Norden führenden Gassen, gefolgt von Julia und dem Dienstmädchen der Manfridus’. Letztere traf keine Anstalten, uns führen zu wollen. Ich machte nicht zum ersten Mal die Entdeckung, dass Jana sich schneller in einer fremden Umgebung zurechtfand als ich. Andererseits war dies auch keine besondere Kunst; Bischof Peter hatte während der Jahre in Augsburg immer behauptet, ich würde mich beim ersten Besuch eines Hauses sogar auf dem Abtritt verlaufen. Der Gedanke an den päpstlichen Legaten und unsere Freundschaft, die durch mein Verschulden für immer zerbrochen war, hob meine Laune nicht unbedingt.
    »Und wie geht es jetzt weiter? Ich hoffe, sie hat dir eine Medizin verschrieben. Oder wollte sie auch bloß deinen Urin sehen?«
    Jana holte ein Säckchen aus ihrer Börse und hielt es in die Höhe. Ich roch daran; es verströmte einen würzigen Kräutergeruch, durchsetzt mit einem fischigen Aroma.
    »Kamille, Frauenmantel und gemahlene Sepia«, sagte sie. »Das soll ich mir aufkochen und trinken. Dafür lass ich jeden edlen Wein stehen.« Sie verzog das Gesicht.
    »Und wogegen soll das helfen? Das hört sich an wie ein Mittel gegen Wanzen, Läuse und läufige Hunde zugleich.«
    »Die Alte wird schon wissen, was sie tut – jedenfalls eher als dieser lächerliche medicus . Hast du das junge Mädchen gesehen?«
    »Es hat die alte Frau schon in der Herberge begleitet. Wenn es die Enkeltochter ist, muss die junge Frau nach der männlichen Linie der Familie schlagen.«
    »Nein, die beiden sind nicht verwandt. Das Mädchen heißt Fiuzetta. Sie verdingt sich bei der alten Frau als Gehilfin.«
    »Was ist mit ihren Eltern? Sie ist doch nicht älter als vierzehn oder fünfzehn.«
    »Sie ist neunzehn«, sagte Jana zu meinem Erstaunen. »Willst du mich nicht fragen, warum sie diese Arbeit tut?«
    Mir lag auf der Zunge, Nein, da es mich nicht interessiert! zu sagen, aber ich hielt mich zurück. »Nun, ich nehme an, sie will einmal in die Fußstapfen der Alten treten und ihre gut gehenden Geschäfte übernehmen.«
    Jana musterte mich, wie sie es immer tat, wenn es mir nicht gelang, den Sarkasmus aus meiner Stimme zu verbannen.
    »Sie ist eine Hure«, erklärte sie schließlich.
    »Wie bitte?«
    »Nicht so eine, die in einem Badehaus oder in einer Winkelwirtschaft lebt. Sie hat immer nur einen Freier, so lange dieser gewillt ist zu zahlen.«
    »Eine Kurtisane«, sagte ich und erinnerte mich daran, dass ich gehört hatte, die venezianischen Schönen hätten diesen Beruf zur Meisterschaft erhoben. Ich schüttelte den Kopf.
    »Mich würde eher interessieren, was nun mit

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