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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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der beiden heute Morgen sterben musste.«
    »Ich könnte Sie jederzeit verhaften lassen, wissen Sie das? Unser Gefängnis ist nicht so schlimm wie sein Ruf, aber schön ist es dort durchaus nicht.«
    »Sie würden mir wohl kaum diesen Trost zukommen lassen, wenn Sie mich wirklich verhaften wollten.«
    Er lächelte und drehte die Hände mit den Handflächen nach oben, ohne mir zu antworten. Als seine Blicke über meine Schulter hinwegglitten, dachte ich zunächst daran, dass er mich ablenken wollte, um mich umso leichter packen zu können, verwarf den Gedanken aber sofort als unsinnig. Ich drehte mich um und folgte seinem Blick. Wo der von der Mauer eingefasste Weg in das Elendsviertel führte, standen zwei Gestalten und winkten zu uns herüber; ich sah Helme und Spieße in der Sonne glänzen. Ich hörte einen schwachen Ruf und sah, wie einer der beiden Bewaffneten auf den Kanal hinausdeutete. Die große Kriegsgaleere glitt mit ihrem Gefolge aus kleineren Schiffen vorbei, das Segel mittlerweile eingeholt, die Wimpelgirlande flatternd. Die Ruderreihen hoben und senkten sich in gleichmäßigem Takt. Vor dem Hintergrund der Bauten auf der kleinen Insel mitten im Canale di San Marco wirkte es, als schwebte sie mit erstaunlicher Schnelligkeit über einem Meer aus unbewegtem Silber. Calendars Augen zogen sich zusammen. Er schien die Sprache der Wimpel zu studieren. Schließlich nickte er langsam.
    »Was gibt es?«, fragte ich.
    »Ein Adler hat ein paar Geier gefangen.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Sie müssen es nicht verstehen.« Er nickte mir zu, trat an mir vorbei und schritt in Richtung auf die winkenden Gestalten zu, ohne sich noch einmal umzudrehen.

6
    Bei einer der Bäckereien beim Arsenal fand ich die zerlumpte Menge wieder. Ich nahm nicht an, dass hier ein erneutes Wettspiel aufgeführt würde; die Hastigkeit, mit der der Kampf durchgeführt worden war, und die Tatsache, dass Paolo Calendar sich verkleidet hatte, um ihn ungefährdet beobachten zu können, erklärten mehr als deutlich, dass er verboten war und nur in aller Heimlichkeit gespielt werden konnte. Calendar hatte ausgesagt, man hätte ihn umzubringen versucht, hätte man gewusst, dass er ein Polizist war. Ich hatte es ihm schon vorher geglaubt – dass er zwei Bewaffnete als Verstärkung in der Nähe postiert hatte, unterstrich seine Bemerkung. Ich fragte mich, ob ich über seine Vorsicht enttäuscht war; bevor ich die Verstärkung entdeckt hatte, hatte ich angenommen, er sei tollkühn genug, sich nur auf seine Verkleidung zu verlassen. Ich erinnerte mich daran, dass Bischof Peter mir nach Aufnahme meiner Tätigkeit als sein Untersuchungsbeamter stets zwei abenteuerlich aussehende Burschen mitgegeben hatte, wenn ich in einem der üblen Viertel Augsburgs oder spätabends zu tun hatte. Ich hatte sie meistens nicht für nötig gehalten und den Bischof doch gewähren lassen. Es war professionelle Vorsicht, und es war ebenso professionell, sich danach zu richten.
    Der Menschenauflauf vor mir bestand diesmal auch aus kleinen Kindern, Frauen und Alten. Es waren nicht wenige Krüppel darunter, die über den Boden krochen oder an behelfsmäßigen Krücken humpelten. Als ich stehen blieb, wandten sich mir einige Gesichter zu. Eine vor mir auf dem Boden kauernde Frau mit einem lumpenverhüllten Gesicht begann zu jammern und streckte mir eine Klauenhand entgegen, doch die Aufmerksamkeit der anderen wandte sich nach vorn. Bei einem der Gebäude, in denen der Zwieback hergestellt wurde, drängte sich das Volk am dichtesten. Ich ließ ein paar kleine Münzen in die Hand der Frau fallen und bemerkte erleichtert, dass sie mich daraufhin in Ruhe ließ.
    Die Fenster im ersten Geschoss links und rechts neben dem verrammelten Eingangstor öffneten sich. Knechte begannen mit Schaufeln und beiden Händen Zwieback herauszuschleudern, und unten begann eine hektische Balgerei um die Stücke. Die in meiner Nähe, am Ende der Menge, Befindlichen warfen sich ins Gewühl, ohne etwas zu bekommen außer Knüffen. Ein paar konnten sich durchwinden; andere rollten mir, von Fausthieben und Fußtritten beschleunigt, wieder vor die Füße. Die Solidarität unter den Ärmsten der Stadt ging nicht weiter als bis zu ihren Mägen. Ein Glücklicher hatte es vermocht, einen Zwieback zu erhaschen, und schob ihn hastig in den Mund, bevor ein anderer ihm die Beute entreißen konnte. Sie waren wie Krähen, die um das Gekröse in der Gosse vor einer Fleischbank raufen.
    Der Zwieback war grün

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