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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Tier war kopfunter an dem halbhohen Galgen aufgehängt, den Jungen hatte man die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Jemand stieß einen Befehl hervor, und der Kampf begann von neuem.
    Die Regeln waren einfach: Jeder der Jungen, die vorher zu dritt gewesen waren, irrte mit verbundenen Augen im Kreis herum, dirigiert vom Gebrüll der Fraktion, die Geld auf ihn gesetzt hatte, und abgelenkt von den Anweisungen der anderen Fraktion, die für seinen Mitspieler galten. Wenn einer von ihnen nahe genug an die Katze herankam, wurde das Geschrei frenetisch, und er sprang nach oben und versuchte, der Katze einen Kopfstoß zu versetzen. Wenn er traf, wurde das Tier wie ein Sack an einem langen Strick umhergeschleudert. Letztlich ging es darum, wer der Katze zuerst einen tödlichen Stoß versetzen konnte. Die Katze, ein magerer, grau getigerter Streuner, kämpfte mittlerweile stumm und schlitzte die Wangen ihrer Peiniger mit ihren Krallen auf, sobald sie von einem Stoß getroffen wurde. Als sie das Ohr des dritten Jungen aufgerissen hatte, hatte er aufgegeben. Ich wünschte, ich wäre ihm gefolgt, anstatt diesem Schauspiel beizuwohnen. Nicht, dass ich dieses Spiel nicht schon auf Dorffesten von betrunkenen Knechten hatte spielen sehen und auch bei diesen Gelegenheiten heftiges Mitgefühl mit der Katze empfunden hatte. Vielleicht lag mein heutiger Abscheu darin begründet, dass dabei um Geld gewettet wurde.
    Ich drängelte mich rücklings aus dem Gewühl heraus, bis mich einer der zerlumpten Männer stoppte und mir wortlos die offene Hand unter die Nase hielt. Wer einmal zu spielen angefangen hatte, musste sein Geld auch setzen. Ich drückte ihm die paar Münzen hinein und stolperte davon. Er steckte den Betrag mit regungsloser Miene ein. Seine Stirn und seine Wangen waren mit Narben übersät, er sah aus wie ein zerfurchter alter Mann und war doch höchstens zwanzig Jahre alt: ein Veteran des Katzenspiels. In wenigen Jahren würden die beiden Knaben, die dort im Inneren des Kreises umhertaumelten und sich für Geld die Gesichter zerfetzen ließen, ebenfalls andere Kinder für sich kämpfen lassen. Ich setzte mich abseits auf einen Bretterstapel und wartete.
    Als der Kampf vorüber war, zerstreuten sich diejenigen schnell, die nicht zu den Bewohnern dieses Niemandslandes gehörten. Die Patrizier hatten einen Gewinn gemacht und grinsten, die Seesoldaten zählten ihre Münzen und schienen nicht genau zu wissen, ob sie unterm Strich draufgezahlt hatten oder nicht, und die Galeerenruderer waren zu betrunken, um das eine vom anderen unterscheiden zu können. Jemand band den Leichnam der Katze los und warf ihn über den Rand des gemauerten Vierecks, was die Möwen wütend emporstieben ließ. Ich stand auf und näherte mich den beiden Spielern, die keuchend auf den Boden gesunken waren und von ihren Kameraden schmutzige nasse Tücher gereicht bekamen. Ihre Gesichter waren blutige Masken. Einer von ihnen weinte, der andere starrte stumm in den Himmel, während er die nassen Lumpen auf seine Wangen presste. Einer der zerlumpten Männer war stehen geblieben und musterte mich aus der Tiefe einer viel zu großen Lederhaube heraus, die sein Gesicht wie eine Kapuze einhüllte, doch niemand hielt mich auf. Ich kauerte mich neben ihnen ins Gras und kramte eine weitere Hand voll Münzen aus meiner Börse. Einer der unverletzten Jungen griff danach. Ich schloss die Faust.
    »Tedesco?« , fragte ich.
    Einer sagte zögernd: »Ja.« Er wies mit dem Daumen auf die davonschreitenden Gestalten der Patrizier, und ich fühlte eine plötzliche Wut in mir aufsteigen, als ich erkannte, was er damit meinte. Die Hauptgewinner des Kampfspiels waren meine Landsleute.
    »Kannst du mich verstehen?«, stieß ich hervor.
    » Si , ein wenig.«
    »Wie heißt du?«
    Er zuckte mit den Schultern und machte ein verständnisloses Gesicht. Diese Frage hatte ihm noch niemand in meiner Sprache gestellt.
    »Il nome?«
    Seine Zügen hellten sich auf, und er grinste und entblößte ein beinahe schwarzes, lückenhaftes Gebiss. »Maladente.«
    »Ich bin Peter.« Ich streckte ihm eine Hand hin, die er nicht ergriff. »Ich suche einen Jungen, einen von euch.«
    Er zuckte wieder mit den Schultern. Ich öffnete die Hand mit dem Geld, und er warf einen begehrlichen Blick hinein. Hatte er mich nicht verstanden, oder antwortete er mir aus Misstrauen nicht? Aus dem Augenwinkel sah ich, dass der Mann mit der Lederhaube näher getreten war. Wie lange mochte es dauern, bis er sich dazu

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