Die schwarzen Wasser von San Marco
Rara.«
»No, maledetto« , fluchte er ungeduldig. Er sah sich suchend um und deutete schließlich auf ein Haus. »Ca’ di Rara, si?«
»Ich verstehe. Das Haus von Rara.«
Maladente nickte heftig.
»Fratellinos Schwester wohnt im Haus von Rara? Wo ist das?«
»Santa Croce.«
»Wer ist Rara? Ist sie die Mutter von Fratellino und seiner Schwester? La mamma ?«
Maladente verzog das Gesicht und lachte höhnisch. Rara war nicht die Mutter.
»Wie heißt Fratellinos Schwester?«
Er zuckte die Achseln und machte eine wegwerfende Geste. Niemand kümmerte sich um den Namen eines Mädchens.
»Warum wohnt sie bei Rara?«
» Ca’ ist sehr groß. Viele Matratzen wohnen bei Rara.«
»Viele was? Du meinst Mädchen?«
Er kämpfte mit dem Wort und ersetzte es schließlich durch das, was ihm leichter über die Lippen kam. »Viele Matratzen!«
Mir dämmerte ein Verdacht. »Maladente«, sagte ich erstickt, »welche Worte kannst du wirklich auf Deutsch? Sag sie mir.«
Er stellte sich in Positur. »Matratze. Nutte. Wie viel fürs Ficken? Bring sie heute Nacht. Aber muss sauber sein. Du Schwein. Zeig mir deine …«
Ich unterbrach ihn. »Maladente, wer sagt so was zu dir?«
»Tedeschi.« Er zeigte den Kanal hinauf in die Richtung, in der das Fondaco lag. Ich spürte, wie mir übel wurde.
»Wie heißt Fratellinos Schwester?«
Maladente brummelte etwas. Er sah auf den Boden und fuhr mit einem schmutzigen Zeh die Maserung des Steins nach. Sein Verhalten hatte sich plötzlich geändert, und ich ahnte, woran es lag: Er hatte sich daran erinnert, dass auch ich einer von den Tedeschi war, und seine bisherigen Erfahrungen mit ihnen waren ganz offensichtlich nicht die besten. Ich biss die Zähne zusammen.
»Maladente, ich brauche den Namen.« Ich winkte ihm mit einer weiteren Münze.
»Caterina«, murmelte er wie jemand, der weiß, dass er das Falsche tut. Auf einmal warf er sich herum und rannte davon, wieder in die Gasse hinein, in der die Ausgabe des verschimmelten Trockenbrots allem Anschein nach beendet war. Er wartete nicht einmal ab, bis ich ihm die letzte Münze zuwerfen konnte.
Moro überraschte mich mit seiner Antwort, als ich ihn nach Rara fragte.
»Rara de Jadra, die Dalmatinerin? Man sagt, das ist eine Frau, die nur Gutes bewirkt. Sie führt wohl ein Waisenhaus für junge Mädchen drüben in Santa Croce, beim Campo San Simeòn Propheta. Wie kommen Sie darauf?«
»Ist das weit von hier?«
Er lächelte. »Etliche campi .«
Ich gab sein Lächeln zurück. »Was ist so Besonderes an ihrem Waisenhaus? Ich dachte, deren gibt es viele – kirchliche sowie Stiftungen der reichen Kaufleute?«
Moro hielt beide Hände hoch und wackelte mit den Fingern. »Die hier reichen nicht aus, um sie zu zählen. Aber die privaten Stiftungen haben nur eine begrenzte Aufnahmekapazität«, er krümmte ein paar Finger ein, »und die kirchlichen Waisenhäuser nehmen nur die Kinder auf, die ihnen vor die Tür gelegt werden.« Moro krümmte weitere Finger, bis nur noch sein rechter Zeigefinger aufrecht stand. »Rara de Jadra wandert angeblich durch die Straßen und holt die Kinder aus der Gosse; sie geht auf den Sklavenmarkt und kauft sie den Sklavenhändlern ab.«
»Ich bin beeindruckt.«
»Es gibt natürlich noch andere barmherzige Einrichtungen für die Kinder«, erklärte Moro. »Von der Serenissima, von den Schulen der Handwerker; aber dort bleiben die Kinder nur so lange, bis sie halbwegs erwachsen sind, dann stehen sie wieder auf der Straße. Soviel ich gehört habe, kümmert sich Rara auch darum, was aus den Mädchen wird, wenn sie volljährig sind.«
»Und was geschieht dann mit ihnen?«
Moro breitete die Hände aus. »Woher soll ich das wissen? Dienstmädchen, Zofen, Wäscherinnen … alles besser, als sich mit zwanzig Jahren im Winter in einer zugigen Hütte hinter dem Arsenal zu Tode zu husten, oder nicht?«
»Nimmt sie auch Jungen an?«
»Nein, ich glaube, nur Mädchen. Es heißt, sie hat nur ein kleines Haus; wie sollte sie die Kinder da voneinander trennen? Sie ist sehr gottesfürchtig und äußerst darauf bedacht, nichts falsch zu machen.«
»Ich frage mich, warum nicht alle eltern- und heimatlosen Mädchen der Stadt zu ihr gehen und um Aufnahme bitten.«
»Wer weiß, vielleicht tun sie das?«
»Warum laufen dann so viele davon in den Gassen herum?«
»Die Not ist stets größer als die Güte.«
»Moro«, sagte ich und fragte mich selbst, weshalb ich so misstrauisch war, »bei unserem letzten Gespräch hast
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