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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Hinter ihr drängten sich ein paar junge Mädchen und versuchten, über ihre Schulter zu spähen.
    »Ich bin Rara de Jadra«, sagte sie mit hartem Akzent. »Was führt Sie zu mir?«

7
    Die Mädchen in Raras Haus – zumindest die neun, die sich in einer Ecke des Saales bei Näharbeiten zusammendrängten und versuchten, unbemerkt zu mir herüberzuschielen – waren etwa zwischen zehn und sechzehn Jahren alt. Ich hatte es kaum anders erwartet; jüngere Mädchen wurden vermutlich selten auf dem Sklavenmarkt verkauft, und ältere würden von Rara längst ins Leben zurückgeführt sein. Die meisten schienen aus den östlichen Kolonien Venedigs zu stammen: dunkel getönte Haut, dichtes schwarzes oder braunes Haar, schwarze Augen und kräftige Arme. Zwei zartere Figuren waren darunter; vielleicht die Töchter von Bauern der Umgebung, die in finanzielle Notlage geraten waren, oder ehemalige Straßenkinder. Sie alle waren ausnahmslos hübsch. Sicher fiel es Rara leichter, ein ansehnliches Mädchen in eine Dienstbotenstellung zu vermitteln als ein weniger hübsches, aber ich fragte mich im Stillen, was Rara tun würde, wenn sie Geld genug für zwei Käufe auf dem Sklavenmarkt hätte und von zwei angebotenen Kindern nur eines ihrem Schönheitsideal entspräche. Sie war davon abhängig, ihre Schützlinge in vernünftige Stellungen vermitteln zu können, und sie benötigte das Geld, das finanzkräftige Gönner ihr spendeten, und Schönheit ließ die Börse lockerer sitzen als Hässlichkeit. Dass ich ihre Beweggründe nachvollziehen konnte, machte mir meine Gedanken nicht sympathischer.
    »Ich kann dieses Haus nur mit Gottes Hilfe und der Freizügigkeit der Menschen hier erhalten«, erklärte Rara. »Jeden Tag bete ich zum heiligen Simon und zum heiligen Christophorus, dass sie mir die Kraft geben, weiterzuarbeiten, und den Menschen die Güte, mich dabei zu unterstützen. Ich bin dem Herrn und seinen Heiligen in Demut dankbar, dass sie sich meiner bisher immer angenommen haben.«
    »Wenn man das Haus so ansieht …«
    »Ja, es ist bedauerlich. Ich schäme mich, aber für den Erhalt ist nicht genügend Geld vorhanden. Wenn es mir der Rat Falier nicht zur Verfügung gestellt hätte, gäbe es für meine armen Täubchen und mich gar kein Dach über dem Kopf; ich wünschte mir, ich könnte mich seiner Güte würdig erweisen und das eine oder andere reparieren, doch wie gesagt, es fehlen die Mittel.«
    »Das Haus hier hat Leonardo Falier gehört?«
    »Kennen Sie ihn?«
    »Ich bin ihm heute Morgen begegnet. Er stand auf einem Podium und ich in der Menge. Zu behaupten, ich kenne ihn, wäre da wohl übertrieben.«
    »Er hat das Haus gekauft, schon vor vielen Jahren. Es stand eine Weile leer, bevor er es in meine Hände gab.«
    »Was haben Sie getan, bevor Sie es erhielten und sich um die Mädchen kümmerten?«
    Sie lächelte mich an, ohne etwas zu sagen, und ich erkannte, dass ich verbotenes Terrain betreten hatte. Rara de Jadra hatte strenge Gesichtszüge und dichte Augenbrauen, die ihre Stirn im Vergleich zu den meist völlig haarlosen Gesichtern der venezianischen Frauen finster wirken ließen. Die Augen, die darunter hervorblitzten, waren von einem tiefen Schwarz; ihr Haar war straff zurückgekämmt, am Hinterkopf aufgesteckt und endete in einem langen Zopf, der über ihren Rücken fiel. Ihre Schützlinge übertrafen sie an Schönheit bei weitem, doch wenn sie lächelte und zwei Reihen gut gepflegter Zähne sehen ließ, bekam ihr Gesicht etwas Freundliches und Anziehendes.
    »Was ist mit Herrn Chaldenbergen? Ich hoffe, er hat sich ebenfalls als großzügig erwiesen?«
    »Ihr Landsmann? Oh, ich wusste seinen Namen gar nicht. Ja, ein sehr gottesfürchtiger Mann. Er kehrt bald nach Hause zurück und hat das Bedürfnis, noch eine edle Tat zu vollbringen. Wir haben über seine Absichten gesprochen, und er wollte noch einmal darüber nachdenken.« Es hörte sich an, als wäre Chaldenbergen ins Fondaco geeilt, um seine Barschaft zu zählen und zu überprüfen, ob ihre Höhe mit seinem Bedürfnis zu zahlen übereinstimmte – und als ob Rara sein Verhalten durchaus angemessen fand.
    »Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte ich.
    Rara blickte mich erstaunt an. »In der Regel bin ich auf die Hilfe anderer angewiesen«, erwiderte sie dann.
    »Ich muss mit einem ihrer Mädchen sprechen. Sie hat einen Bruder, der zu den Unglücklichen gehört, die in den Gassen leben.«
    Rara spitzte die Lippen und machte ein bedauerndes Geräusch. »Unselige kleine

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