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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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in besserer Lage einen neuen Palast erbaut hat und sein bisheriges Domizil billig verpachtet, um damit ein gutes Werk zu tun. Wenn man davon ausging, dass Rara de Jadra und ihre Schützlinge großen Raumbedarf und wenig Geld hatten, musste ich vor dem Waisenhaus der Dalmatinerin stehen. Die Tür war zu, aber nicht verschlossen; ich drückte sie auf und betrat den Innenhof.
    Er war eng, finster und in noch kläglicherem Zustand als die Außenfassade. Ein schmales Rechteck, das sich von der Eingangstür weg in die Länge zog, wurde er an der rechten Seite noch durch eine Art Vorbau beschnitten, in den eine mit einem starken Schloss versehene, plumpe Tür hinein- und vermutlich in den Vorratskeller führte. Auf der linken Seite lief eine breite Treppe mit spitzbogigen Arkaden um zwei Seiten des Innenhofes herum und hinauf in die Helligkeit einer Loggia, die sich zur Rückseite des Hauses hin öffnen musste. Das einzige Licht, das aus dem Obergeschoss in den Innenhof fiel, beschien eine runde Brunnenöffnung. Wo die Farbe noch nicht von den Wänden abgeplatzt war und das Licht auf sie fiel, leuchtete sie in einem warmen Rot; wo sie im Schatten lag, wirkte der Putz wie geronnenes Blut. Der Boden war mit braunen Ziegeln in Fischgrätmuster belegt und peinlich sauber. Aus dem Obergeschoss drangen Stimmen. Ich räusperte mich und rief einen Gruß, während ich die Treppe emporstieg.
    Oben angekommen, stieß ich auf eine doppelflüglige Tür, von der ich annahm, dass sie in den großen Saal führte. Als ich sie öffnen wollte, wurde sie von innen aufgerissen, und ein Mann mit bunter Kleidung rannte in mich hinein. Er wich erschrocken zurück und sagte: »Ich bitte um Verzeihung.«
    »Keine Ursache«, erwiderte ich. Er nickte und ordnete seine Kleidung und riss dann die Augen auf.
    »Oh, Sie sind auch aus dem Reich. Da bitte ich doppelt um Verzeihung.«
    Er war breitschultrig, was noch durch mächtig aufgepuffte Schulterstücke an seinem Wams betont wurde; er war mindestens eineinhalb Köpfe kleiner als ich, und sein Oberkörper wirkte breiter als meiner. Die tiefen Röhrenfalten, die zur engen Taille des Wamses führten, betonten seine Figur und ließen ihn wie die Karikatur eines antiken Athleten in Kleidern aussehen – ein kleiner Mann, der seine geringen Maße auf eine andere Weise auszugleichen sucht und nicht merkt, dass er die Schwelle zur Peinlichkeit bereits überschritten hat. Er lächelte mich an. Seine Hautfarbe wirkte unnatürlich; aus der Nähe besehen wurde klar, dass er sich sorgfältig geschminkt hatte. Vielleicht war er viel in Frankreich herumgekommen, wo die Geckenhaftigkeit hoch im Kurs stand.
    Er streckte mir seine Hand entgegen. »Ich habe Sie im Fondaco noch gar nicht gesehen. Sind Sie eben erst angekommen?« Sein Händedruck kam mir übertrieben fest vor.
    »Ich wohne nicht im Fondaco. Ich bin nicht in Geschäften hier.«
    Er nickte und fragte nicht weiter, was ihm sichtbar schwer fiel. Ich half ihm über die Pause hinweg, indem ich mich vorstellte.
    »Mein Name ist Heinrich Chaldenbergen«, erwiderte er und deutete eine kleine Verbeugung an. Er sprach mit einem Dialekt, den ich nicht gleich zuordnen konnte und den zu verstehen mir Mühe bereitete. »Aus Lübeck. Ich glaube, ich habe Ihren Namen schon einmal gehört. Kann das sein?«
    »Sie sind weit von zu Hause weg.«
    »Geschäfte, Geschäfte. Man muss sich das Leben eben richten, so wie es am besten geht. Aber ich kehre in wenigen Tagen heim – wenn mein letzter Handel so verläuft, wie ich es mir vorstelle.« Er deutete über die Schulter zu der Tür, die er wieder hinter sich geschlossen hatte. »Wie haben Sie denn hierher gefunden?«
    Ich beschloss zu lügen. »Das Haus wurde mir empfohlen. Ich habe ein Gelübde abgelegt und möchte Geld für die Waisenkinder spenden.«
    »Da tun Sie ein gutes Werk, das sich tausendfach für Sie auszahlen wird.« Er zwinkerte mir zu. »Vom Lohn im Himmelreich einmal abgesehen.«
    »Wir alle arbeiten für den Erhalt unserer Seelen.«
    »Natürlich. Ich muss wieder los. Glück und gute Geschäfte.«
    Er stieg die Treppe hinunter. Wie ich erwartet hatte, blieb er an ihrem Fuß stehen und spähte noch einmal nach oben. Ich winkte ihm zu. Er grinste und winkte zurück, dann stülpte er sich seine Kappe auf den Kopf und schritt schnell hinaus. Ich hörte seine Stiefel auf dem Fischgrätmuster knallen. Als ich mich umdrehte, stand eine schlanke, dunkle Frau in der geöffneten Tür und musterte mich argwöhnisch.

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