Die schwarzen Wasser von San Marco
verdrossen den Kopf.
»Es gefällt mir auch nicht. Aber für ein junges Mädchen ist das Schicksal, in Venedig das Dienstmädchen eines angesehenen Patriziers zu werden, dem Leben in der Gewalt eines reichen Freibeuters vorzuziehen. Und die Kunde vom Sieg über die Piraten verbreitet sich in aller Welt. Sehr oft melden sich die Eltern, Frauen, Männer oder Brüder von Entführten und kaufen sie wieder frei – und für einen günstigeren Preis, als die Piraten ihn verlangt hätten, das dürfen Sie mir glauben.«
»Ich muss diese Vorgehensweise trotzdem nicht billigen«, sagte ich.
Sie lächelte wehmütig. »Begleiten Sie mich. Ich habe vor kurzem eine Spende erhalten. Vielleicht kann ich ein unglückliches junges Ding aus ihrer Gefangenschaft befreien, dann sehen Sie, dass aus dieser Vorgehensweise auch Gutes erwächst.«
8
Streng bewacht von Seesoldaten und belagert von einer neugierigen Menge, lag zwischen den beiden Säulen auf der Piazzetta die Kriegsbeute aus dem Feldzug gegen die Piraten. Die Besitzer der Bäckereien und Metzgerbuden, die sich – Bretterverschlag an Bretterverschlag – entlang des Kais drängten, freuten sich über die gesteigerten Umsätze; der heilige Theodor und der Markuslöwe auf den beiden wuchtigen Säulen hingegen starrten teilnahmslos auf den Kanal hinaus. Zwischen den geöffneten Truhen, aus denen Schmuck und Münzen blinkten, den gestapelten Fässern und den Bergen an Schwertern, Lanzen und Spießen, die den materiellen Teil der Beute darstellten, und der Anlegestelle am Kai hatte man hastig ein Zelt errichtet, das ebenfalls bewacht wurde. Die Wachen ließen einen tröpfelnden Strom von teuer gekleideten Männern aus und ein, manche von ihnen mit Leibwächtern im Gefolge, die gefährlicher aussahen als die beiden Soldaten, die links und rechts neben dem Zelteingang standen. Ich war an einen cäsarischen Triumphzug erinnert, nur dass der Triumphator stillstand und die Stadt sich um ihn herum bewegte. Rara erklärte, dass die meisten von ihnen Räte oder Vertreter der Stadtsechstel seien, die dem Kommandanten der Aquila ihre Aufwartung machen wollten. Vermutlich war consigliere Leonardo Falier unter den Ersten gewesen, die dem siegreichen Helden gratulierten und ihn sich mit einem teuren Geschenk gefällig machten.
Rara schritt ohne Verzug über den Platz und steuerte den Dogenpalast an. In den Arkaden der Westfassade wimmelte es von weiteren Müßiggängern, Neugierigen und Verkäufern, deren Lärm zwischen den Bögen widerhallte. Am Ende der Westfassade, wo sich der Markusdom erhob wie ein verwirrendes Ensemble aus Kuppeln, Spitzen, Bögen und Galerien und eher nach einem heidnischen Tempel in Byzanz als nach einem christlichen Gotteshaus aussah, bog Rara ab. Die Fassade des Dogenpalastes war hier zurückversetzt und führte zu einem aus bunten Ziegeln gemauerten Tor, das seinerseits wie die überladene Fassade einer Kirche wirkte und mit wuchernden Formen in Blau und Gold protzte. Ein Mann aus Stein mit der gehörnten Kappe des Dogen kniete auf einem Sims über dem Eingang vor dem geflügelten Markuslöwen; an der linken Ecke des Vorbaus umfassten sich vier Figuren aus rotem Porphyr, als wären sie aufgeschreckte Diebe, die man auf frischer Tat ertappt hatte. Das Tor stand offen, und ich folgte Rara in den Innenhof des Dogenpalastes.
Die reich verzierten, von Arkaden und tiefen Fenstern gesäumten Gebäudeflügel erhoben sich über einem üppigen Gemüsegarten; auf den Wegen, die den Garten durchzogen, huschten Nonnen umher und gossen, zupften, rissen Unkraut aus oder ernteten. Zwischen ihnen wandelten Männer in strengen, teuren Habits, sichtlich Beamte und Regierungsmitglieder, aber auch farbenprächtig gekleidete Patrizier sowie Handwerker mit Schürzen vor den Bäuchen und die überall gegenwärtigen Matrosen.
Rara führte mich zu einer Freitreppe, blieb jedoch stehen, als aus dem Eingangsportal an ihrem oberen Ende streitende Stimmen vernehmbar wurden. Sie sah mich erstaunt an. Ich hörte ein paar Flüche, die nicht zu dem vornehmen Ort passen wollten, und kurz darauf drängte ein Mann in Lederkleidung zwei Handwerker unsanft beiseite, die gerade den Gebäudeflügel betreten wollten, und polterte die Treppe herunter. Ich musste seinen pompösen Lederharnisch und sein zerfurchtes Gesicht nicht näher sehen, um zu wissen, dass es sich bei dem Mann um den Sklavenhändler Barberro handelte. Sein Benehmen kam mir nur allzu bekannt vor. Die Handwerker schüttelten die
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