Die schwarzen Wasser von San Marco
Kaufmanns, der mit seinem Schiff von den Piraten aufgebracht wurde, und die zwei Mädchen waren bereits Sklavinnen, bevor sie den Piraten in die Hände fielen. Es wird entschieden, ob der Kommandant der Aquila sie alle als sein Eigentum ansehen und nach Gutdünken auf dem Markt verkaufen darf.«
»Eine geringe menschliche Beute. Handelte es sich denn nur um ein einziges Piratenschiff?«
»Nein, es waren fünf, zwei große und drei kleinere. Die Aquila und die Venator haben ihnen eine regelrechte Schlacht geliefert. Einige der Gefangenen konnten sich als freie Männer und Frauen legitimieren und sind bereits auf Kosten der Stadt untergebracht worden, bis sie Kontakt zu ihren Angehörigen aufnehmen können.«
»Ich verstehe.«
»Die meisten der Menschen, die den Piraten in die Hände gefallen sind, sind selbstverständlich ums Leben gekommen.«
»Während des Kampfes?«
»Sicher auch.«
»Sie meinen, sie wurden schon vorher …«
»Ich meine«, sagte sie betont gelassen, »dass die schönsten Frauen und die reich gekleideten Männer von den Piraten als gewinnbringende Fracht untergebracht wurden; die weniger schönen Frauen gebrauchte die Besatzung so lange, bis sie tot waren, und der Rest – einschließlich irgendwelcher Alter und der schwächlich wirkenden Kinder – wurde sofort über Bord geworfen.«
Es ist immer ein Unterschied, ob man von bestimmten Dingen lediglich durch Hörensagen erfährt, oder ob sie einem mit größter Ernsthaftigkeit von Angesicht zu Angesicht bestätigt werden. Ich starrte Rara an und erinnerte mich meines Bedauerns angesichts der vom Krähennest der Aquila baumelnden Freibeuter. Mich überkam das vage Gefühl, dass mein Mitleid fehl am Platz gewesen war.
Die drei rot gewandeten Richter schienen zu einem Entschluss kommen zu wollen. Auf eine Handbewegung hin eilte ein Gerichtsdiener die lange Reihe des Richterkollegiums entlang und ließ sich von jedem etwas in eine Urne werfen. Die gefüllte Urne stellte er auf das Podium, und auf einen neuerlichen Wink eilte ein anderer Gerichtsdiener hinzu und begann den Inhalt der Urne in zwei große flache Schüsseln zu zählen. Es waren weiße und rote Kugeln; wenige weiße und viele rote.
»Ich bin erstaunt, wie schnell hier eine Verhandlung abgeschlossen wird. Anderswo dauert es Monate, bis ein Rechtsanwalt überhaupt angehört wird, um über die Eröffnung eines Verfahrens zu beschließen.«
»Hier ist es für gewöhnlich nicht anders«, erwiderte Rara trocken. »Aber der Kommandant der Aquila gilt als Held, und man will ihn nicht warten lassen – schon deshalb, weil er demnächst wieder in See stechen wird. Außerdem geht es um nichts Wichtiges.«
Einer der Zuschauer drehte sich mit verärgerter Miene zu uns um und zischte uns etwas zu. Rara machte eine entschuldigende Geste und übersetzte mir flüsternd, was vorn auf dem Podium verkündet wurde. Das Übergewicht der roten Kugeln fällte ein Urteil, das ich nicht anders erwartet hatte. Der Kommandant der Galeere bekam das Besitzrecht an den sieben Menschen zugesprochen, die die Zeit in der Gewalt der Piraten und die Seeschlacht überlebt hatten. Ein Dolmetscher übersetzte es in die unterschiedlichen Sprachen der nunmehrigen Sklaven, die das Urteil teilnahmslos entgegennahmen. Die Richter erhoben sich und schritten durch eine Tür zwischen den beiden Tischen hinaus. Rara berührte mich leise am Arm.
»Ich habe wahrscheinlich genügend Geld, um eines der beiden jungen Mädchen loszukaufen«, wisperte sie hastig. »Ich eile sofort hinaus in das Zelt des Kommandanten auf der Piazzetta, damit mir niemand zuvorkommt. In dem Trubel hier wird es nicht auffallen, dass ich ohne Begleitung bin. Entschuldigen Sie mich.«
Sie war unter den Ersten, die nach dem Abgang der Richter hinaushuschten, und ich folgte ihr langsam. Soeben war ich Zeuge eines beeindruckenden Beispiels für die venezianische Effizienz in Justizangelegenheiten geworden. Allerdings hatte es sich ja um nichts Wichtiges gehandelt; nur um sieben Menschen, die in die Sklaverei verkauft worden waren.
Als ich die Herberge von Michael Manfridus wieder betrat, waren die Schatten lang. Als ich wenig später erfuhr, welcher Art Janas Krankheit wirklich war, hatte ich das Gefühl, dass sie über mir zusammenschlügen.
9
Zehn Jahre zuvor hatte ich in der Stube meines kleinen Handelshauses in Landshut gesessen und meine Bilanzen bearbeitet; im Schlafzimmer war währenddessen meine Frau Maria bei dem Versuch gestorben, unserem
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