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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Fäuste hinter ihm her. Barberro warf uns einen Blick zu, wandte sich dann ab und stiefelte in Richtung Ausgang davon. Er war nahe genug, dass ich den Alkohol riechen konnte, den er aus jeder Pore ausschied, und die Schweißtropfen sehen konnte, die seinen kahl geschorenen Schädel bedeckten. Ich wusste nicht, ob sein Gesicht stets diese teigige, ungesunde Farbe hatte; wenn nicht, hätte ich gesagt, Barberro hatte einige schlaflose Nächte hinter sich und zerbrach sich über ein Problem mächtig den Kopf. Rara zuckte lediglich mit den Schultern. Ich nahm an, Barberro war von dort gekommen, wo wir hinwollten – dem Ort, an dem die zum Verkauf stehenden Gefangenen der Piraten zu finden waren.
    »Was immer Barberro sucht, hier hat er es auch nicht gefunden«, murmelte ich.
    Rara drehte sich überrascht um. »Kennen Sie den Kerl?«
    »Ich bin nicht traurig darüber, dass er nicht zu meinen Bekannten zählt. Aber ich weiß, wer er ist. Er hatte heute Morgen bereits einen ähnlich unerfreulichen Auftritt auf dem Campo San Polo.«
    »Was hat er dort getan?«
    »Er hat einem der jungen Helfer der Schauspieler Geld angeboten. Der Anführer der Truppe kam ihm dazwischen. Ich habe das Gefühl, Barberro braucht einen Jungen. Ich möchte nur wissen, wozu und warum es ihm damit so dringend ist. Hat er jemandem eine Lieferung versprochen?«
    »Kommen Sie«, sagte Rara und stieg die Treppe hoch. »Wir müssen uns beeilen.«
    Im ersten Geschoss des Ostflügels, in den die Treppe hineinführte, befanden sich Schreibstuben; ein weiteres enges Treppenhaus brachte uns in den zweiten Stock. Der Abstieg in das Erdgeschoss jedoch wurde durch Bewaffnete versperrt. Ich deutete fragend nach unten.
    »Die pozzi «, erklärte Rara. »So nennt man hier die Gefängniszellen: Brunnen. Sie sollen sehr feucht sein.«
    Das zweite Geschoss bestand im Wesentlichen aus mehreren gewaltigen Sälen mit hohen Holzverkleidungen an den Wänden, prächtig geschnitzten Balkendecken, zwei schweren truhenartigen Tischen auf der einen Längs- und einem erhöhten Podium auf der gegenüberliegenden Seite. Einer der beiden Tische war mit blutrotem Samt überzogen, das Podium und die Stufen, die hinaufführten, waren hingegen grün. An den Wänden über den Holzverkleidungen befanden sich die allgegenwärtigen Allegorien und Fresken der Gottesmutter, Heiligen und Engel. Wir marschierten an den großen, offen stehenden Türen vorbei, die den Blick in die Säle freigaben; in einem stand eine kleine Gruppe einheitlich schwarz gekleideter Männer und diskutierte leise, die anderen Säle waren menschenleer. Sie alle waren gleich gebaut und unterschieden sich lediglich durch die Fresken an den Wänden. Es handelte sich um Gerichtssäle. Rara ging zielstrebig auf die letzte offen stehende Tür am Ende des Ganges zu, von wo uns lautes Stimmengewirr entgegenschallte.
    Es war ein Gerichtssaal wie alle anderen, außer dass hier dichter Trubel herrschte. An den Wänden entlang saß eine Reihe von ebenso schwarz gekleideten Männern wie in dem Raum zuvor; von den Männern auf dem Podium trugen drei rote Gewänder. Ein paar Frauen und kleine Kinder standen dicht gedrängt vor einem der wuchtigen Tische. Rara tippte einem Wachsoldaten, der uns den Rücken zukehrte und den Zugang versperrte, auf die Schulter. Er ließ uns passieren. Die Zuschauer drängelten sich alle auf der Stirnseite des Raumes hinter der Eingangstür, am weiteren Vordringen in die Tiefe des Saales durch weitere Wachsoldaten gehindert, die breitbeinig und mit ausgestellten Spießen eine gebieterische Kette bildeten. Über die scheinbar endlose Distanz bis zur anderen Stirnseite des Gerichtssaales hinweg fiel das Licht durch zwei hohe, bleigefasste Fenster.
    Ich betrachtete das Häuflein der Frauen und Kinder, die den hin- und hergehenden Reden lauschten. Die meisten von ihnen hatten fremdländische Gesichter und sahen nicht so aus, als würden sie die venezianische Sprache verstehen. Rara horchte und reckte sich dann, um mir ins Ohr zu flüstern: »Wir sind gerade noch rechtzeitig gekommen. Die Richter werden gleich abstimmen.«
    »Worum geht es?«, fragte ich, obwohl ich es bereits ahnte.
    »Die Frauen und die drei Kinder dort sind von den Piraten als Gefangene mitgeführt worden. Die Kinder wurden von irgendwelchen ionischen Küstendörfern entführt und wissen weder, woher sie gekommen sind, noch, wo sie sich hier befinden. Die zwei jungen verschleierten Frauen waren wohl die Bediensteten eines libanesischen

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