Die schwarzen Wasser von San Marco
herausholen?«
»Wozu sollten Sie mich eingesperrt lassen? Ich habe niemandem etwas getan.«
»Seit gestern gab es drei Tote hier in der Stadt. Ich meine, außer denen, die im Wirtshaus erstochen wurden, in den Kanal gefallen oder einer Krankheit erlegen sind. Bei jedem dieser Toten waren Sie nicht weit entfernt. Sie sind ein Hauptverdächtiger.«
Ich schnaubte verächtlich. »Kommen Sie, Calendar, Sie waren jedes Mal eher bei den Leichen als ich.«
»Was haben Sie von dem Gespräch zwischen mir und Barberro mitbekommen?«
Ich entschloss mich zu einer weiteren Lüge. »Nur die Worte, die Sie wechselten, während Sie damit beschäftigt waren, ihm den Hals umzudrehen.« Es mochte von Vorteil sein, wenn er nicht wusste, dass ich von seiner merkwürdigen Verbindung zu consigliere Falier gehört hatte. Mehr noch als dieser Gedanke veranlasste mich jedoch ein plötzliches Gefühl, ihm nicht zu verraten, dass ich Barberros höhnische Worte über Calendars Frau gehört hatte. Vielleicht hatte es etwas mit Anstand zu tun.
»Vor ein paar Wochen wurde das ausgebrannte Wrack eines Vergnügungsbootes in der Nähe von Sinope im Schwarzen Meer an die Küste getrieben. Es gehörte einer reichen Familie, deren ältester Sohn mit diesem Schiff einen Ausflug unternommen hatte. Es war ein teures Gefährt, stabil gebaut, und obwohl man seine Aufbauten in Brand gesteckt hatte, blieb der Schiffskörper unversehrt und hielt es über Wasser. Im Rumpf fanden sich ein paar Leichen. So wie sie zugerichtet waren, blieb nur der Schluss, dass die Besatzung von Piraten überfallen worden war. Der Sohn war nicht unter den Toten. Die Piraten haben ihn entführt, und da keine Lösegeldforderung einging, nimmt die Familie an, dass er als Sklave verkauft werden soll. Nun sind die Eltern des Jungen in Venedig. Zufällig handelt es sich bei seinem Vater um den künftigen Tyrannen von Sinope; der Junge ist der Enkel des jetzigen Machthabers.«
»Die Eltern haben die Serenissima um Hilfe bei der Suche nach ihrem Sohn gebeten.«
»Es bestehen vortreffliche Handelsbeziehungen zwischen Venedig und Sinope. Die Stadt liegt an der Hauptschifffahrtslinie unserer Galeeren in die Romania.«
»Woher wussten sie so schnell, dass gerade die Piraten gefangen wurden, die ihren Sohn in der Gewalt hatten?«
»Sie wussten es nicht. Sie sind schon seit einigen Tagen hier. Die Serenissima beherrscht die Meere. Da liegt es nahe, sich an Venedig um Hilfe zu wenden.«
»Sie sind vom Rat damit beauftragt, den Fall aufzuklären und den Jungen zu finden. Schön für Sie, dass die Aquila Ihnen die Piraten in die Hände gespielt hat – die Geier, wie Sie bei unserer letzten freundlichen Zusammenkunft zu sagen beliebten.«
Calendar stieß sich von der Tür ab und schlenderte zu der Pritsche, auf der der Betrunkene geschlafen hatte. Er musterte sie, als könne er die Läuse sehen, die den Schläfer dort zu Dutzenden verlassen hatten, um sich auf die Suche nach einem ergiebigeren Wirt zu machen. Er setzte sich vorsichtig hin und stützte die Ellbogen auf die Knie.
Nachdem er ein paar Momente ins Leere gesehen hatte, blinzelte er, nickte kaum merklich und verschränkte die Finger ineinander.
»Ich habe die letzten zwölf Monate in den Sümpfen von Burano und Torcello zugebracht«, sagte er tonlos. »Ich habe meine Familie und mich mit dem Fischen ernährt. Ich bin kein besonders guter Fischer.«
Mir lag eine spöttische Bemerkung auf der Zunge, dass es nicht nötig sei, vor mir die Beichte abzulegen, aber ich schluckte sie hinunter. Ich wäre ein Idiot gewesen, Calendar jetzt zurückzuweisen.
»Im letzten Sommer wurden Gerüchte laut, dass jemand versuche, die Auswahl der Wahlmänner für die Dogenwahl zu beeinflussen. Die Wahl des Dogen ist sehr kompliziert und durchläuft mehrere Gänge mit unterschiedlichen Gremien, um auszuschließen, dass dabei Bestechung im Spiel ist. Wenn man versucht, die Wahl trotzdem zu beeinflussen, muss man viel Geld in noch mehr Hände legen, wissend, dass das meiste davon in den Wind geworfen ist, weil der Großteil der Empfänger gar nicht als Wahlmann aufgestellt wird. Wer immer es versuchte, musste also so wohlhabend sein, dass er sich diesen Aufwand leisten konnte.«
Ich nickte. Er schüttelte den Kopf.
»Falsch gefolgert. Wie Sie dachten alle Mitglieder des Consiglio di Dieci und machten der Polizei entsprechende Vorgaben. Doch niemand hat so viel Geld, um die erforderlichen Hände zu schmieren, und wenn doch, dann ist es schlecht
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