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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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angelegt, weil mehr als die Hälfte der Bestechungssummen umsonst ausgegeben ist. Venedig besteht aus Kaufleuten. Ein Kaufmann kann Sinn oder Unsinn einer Investition abschätzen. Um die Wahlmänner in die Hand zu bekommen, muss man die Leute am Haken haben, die den Kreis festlegen, aus dem die Wahlmänner schließlich bestimmt werden.«
    »Und diese Leute …«
    »… gehören zum Teil dem Consiglio di Dieci, dem Collegio und der Quarantia an. Diese Leute sind jedoch so wohlhabend, dass das Angebot, mit dem man sie zu bestechen versuchte, von solchem Reiz sein müsste, dass zwei reiche Kaufleute daran Bankrott gehen würden.«
    »Wer immer Einfluss auf die Wahl des Dogen nehmen will, muss also andere Mittel anwenden.«
    »Und innerhalb der ehrenwerten Regierungsgremien Männer finden, die sich Taten schuldig gemacht haben, mit denen sich Druck auf sie ausüben lässt.«
    »Ich sehe schon, wohin das führt.«
    Calendar nickte und ballte die verschränkten Finger zu einer Faust.
    »Es hieß, es sei ehrenrührig, auch nur zu denken, dass es etwas im Lebenswandel eines Regierungsmitglieds gäbe, das einem Außenstehenden Macht über ihn verliehe. Es hieß, diese Ansicht sei eigentlich Hochverrat. Es hieß, es würde der Keim des Zerfalls unter das Volk gepflanzt, wenn solche Verdächtigungen ruchbar würden. Die Polizisten, die diese Spur verfolgt hatten, wurden des Hochverrats beschuldigt, vom Dienst suspendiert und eingesperrt.«
    » Die Polizisten?«
    Calendar seufzte und kräuselte die Lippen. »Also gut, ein Polizist. Ein kompletter Idiot, der die Wahrheit suchte und dabei die Realität nicht sah.«
    »Wenn man Sie des Hochverrats beschuldigt hat, müsste eigentlich Ihr Kopf auf das Pflaster der Piazzetta gerollt sein.«
    »Enthauptung steht nur den großen Männern zu. Als man Baiamonte Tiepolo zu den Säulen führte, hingen seine weniger bedeutenden Helfer bereits an ihren Hälsen aus den Fenstern des Dogenpalastes.«
    »Was hat Sie gerettet?«
    »Leonardo Falier. Er überzeugte seine Kollegen vom Consiglio di Dieci, dass es mir nur um die Klärung des Falls zu tun gewesen sei und dass ich in meinem Eifer lediglich über das Ziel hinausgeschossen sei. Am Ende kam ich mit der Entlassung aus der Polizei davon.«
    »Und um Ihre Familie zu ernähren, arbeiteten Sie als Fischer.«
    »Meine Frau stammt aus Torcello. Ihre Brüder ließen mich aushelfen. Wahrscheinlich habe ich sie eine Menge Fische gekostet, bis ich das Handwerk einigermaßen erlernt hatte. Man kann eine Menge Schaden anrichten, und ich habe …«, er schüttelte den Kopf und schloss kurz die Augen. »Es ist kalt im Spätherbst. Wenn man den ganzen Tag im kalten Wasser herumfischt, werden die Finger steif und lassen die Netze fahren.« Er atmete tief ein und aus. Ich hatte den Eindruck, er hatte etwas ganz anderes sagen wollen und es sich im letzten Augenblick überlegt. Es war nicht so, dass er mir sein Herz ausschüttete; er gab mir lediglich ein paar Informationen, die mich besser verstehen lassen sollten.
    »Und weshalb sind Sie jetzt wieder hier?«
    »Nochmals Leonardo Falier. Die Geschäftsbeziehungen zu jener kleinen Stadt am Schwarzen Meer sind hauptsächlich durch ihn geknüpft worden. Er hat erreicht, dass ich wieder in den Polizeidienst aufgenommen wurde. Als einfacher Polizist, versteht sich. Er hat mir den Fall übertragen lassen.«
    Calendar stand auf und streckte seine verkrampften Finger. Er schlenderte zur Tür hinüber und schlug dagegen. Nach wenigen Augenblicken öffnete der Wächter die Tür und trat beiseite, um den Polizisten hinauszulassen. Als ich am Boden sitzen blieb, winkte Calendar mir zu.
    »Nun kommen Sie schon, Sie sind frei.«
    Ich folgte ihm durch die Tür hinaus. Der Wächter nahm die zwischen den Bodenbrettern steckende Fackel an sich, verriegelte die Tür und stapfte uns voraus. Der Gang, in dem die Zellen lagen, war kühler und feuchter als diese selbst.
    »Wenn ich diesen Fall nicht zur Zufriedenheit aller löse, bin ich erledigt«, sagte Calendar mit überraschender Deutlichkeit. »Ich überstehe keine weiteren zwölf Monate als Fischer mehr, geschweige denn ein ganzes Leben. Ich habe keine andere Möglichkeit. Mir fehlen die Beziehungen, und mir fehlt vor allem das Talent zu allem anderen als dem Aufspüren von Verbrechern.«
    »Das kommt mir bekannt vor«, murmelte ich. Calendar hörte nicht auf mich. Er blieb plötzlich stehen und drehte sich zu mir um.
    »Wenn Sie mir nochmals in den Weg geraten, werde ich

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