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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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einen Moment, als müsste er nachdenken. Als er sie wieder öffnete, lächelte er, doch sein Blick blieb kalt. Der Feuerschein ließ sein vorzeitig ergrautes Haar golden schimmern, und er sah aus wie wahrscheinlich mit zwanzig Jahren. Jana hätte gesagt, wenn der Teufel jemals auf den Gedanken verfallen wäre, in einer Gestalt wie der Calendars zu den Menschen zu kommen, würden in den Kirchen der Christenheit Bocksfüße statt dem Kreuz über dem Altar hängen. Calendar erhob sich mit beneidenswerter Leichtigkeit und sah auf mich herab.
    »Die Fackel lasse ich Ihnen hier«, erklärte er. »Sie hält Ihnen die Dunkelheit noch für ein paar Augenblicke vom Leib.«

12
    Calendar trat zur Tür und murmelte etwas in die kleine Öffnung der Klappe. Ich hörte den Riegel arbeiten. Er sah über die Schulter zu mir herüber, während er langsam zurücktrat, damit der Wächter draußen die Tür öffnen konnte.
    »Ich bin ein zu alter Hase, um mich ins Bockshorn jagen zu lassen«, brummte ich, »und zumindest das sollten Sie von meiner Lebensgeschichte noch erfahren.«
    Calendar legte den Kopf schief und dachte ein weiteres Mal nach. Der Wächter sah ihn erwartungsvoll an. Calendar machte eine kreisende Bewegung mit dem erhobenen Zeigefinger und deutete dann auf den Betrunkenen. Der Wächter seufzte, trat herein und zerrte den Schlafenden in die Höhe, der daraufhin im Halbschlaf zu protestieren begann. Calendar sah zu, wie der Wächter den Betrunkenen unter den Achseln fasste, seinen Oberkörper zu sich heranzog und ihn dann von der Pritsche hob. Die Fersen schlugen hart auf den Boden auf. Der Wächter schleifte den Betrunkenen hinaus und ließ ihn draußen achtlos zu Boden fallen. Er warf Calendar einen Blick zu und schloss die Tür wieder. Calendar klopfte mit dem Fingerknöchel gegen die nach außen geöffnete Klappe, und sie fiel mit einem kleinen Knall herab. Dann lehnte er sich an die geschlossene Tür. Ich hörte von draußen einen Pfiff. Der Wächter alarmierte einen Kameraden, der ihm helfen sollte, den Betrunkenen in eine andere Zelle zu schaffen.
    »Nach Ihnen erhielt Barberro weiteren Besuch«, sagte ich. »Drei Männer, schlicht und teuer gekleidet; massiv gebaute Burschen mit großspurigem Auftreten. Leibwächter eines vermögenden Patriziers, wenn ich mich nicht irre.«
    »Dafür, dass Sie erst kurz in Venedig sind, glauben Sie die Menschen nach ihrer äußeren Erscheinung schnell durchschauen zu können.«
    »Bezahlte Schläger sehen überall gleich aus.«
    »Was wollten die Männer von Barberro?«
    »Was wollten Sie von ihm?«
    Calendar antwortete nicht.
    »Die Männer wollten ihn einschüchtern«, brummte ich. »Sie wollten ihm eine Abreibung verpassen, und zwar so, dass es möglichst ein paar Leute von seiner Besatzung mitbekamen. Sie wollten ihm zeigen, wer der Herr ist.«
    Calendar rieb sich unbewusst die Knöchel seiner rechten Hand. Ich betrachtete die Bewegung und lächelte. Als es ihm bewusst wurde, ließ er es sein.
    »Haben die Männer einen Namen genannt?«
    »Sie meinen außer: Barberro, du Laus, komm runter, damit wir dir eins verpassen können?«
    Calendar schwieg wieder und sah mich an.
    »Nein«, log ich. Der Polizist verzog den Mund.
    »Warum hat man Sie verhaftet?«, fragte er schließlich.
    »Einer von Barberros Männern heißt Fulvio. Er ist sein Leutnant, nehme ich an.«
    Calendar nickte. »Fulvio Sicarius. Ein Mann, den man besser von Ferne sieht, besonders bei Nacht.«
    »Schade, dass ich das nicht eher gewusst habe.«
    Calendar forderte mich mit einem leichten Kopfnicken zum Weitersprechen auf. Bis jetzt hatte er seine Stellung an der Tür kaum geändert; er hatte nur die verschränkten Arme heruntergenommen und stützte sich jetzt mit den hinter dem Rücken gekreuzten Händen an der Tür ab.
    »Fulvio entdeckte mich, als ich mich davonschleichen wollte. Er und ein paar von den Männern auf dem Schiff verfolgten mich. Ich erspähte die Nachtwache und entschied, dass ich besser damit fahren würde, mich verhaften zu lassen, als wenn ich den Kerlen in die Hände fiele.«
    »Sie haben einen der Wächter angegriffen.«
    »Ich habe ihn umgerannt.« Ich massierte ein paar schmerzende Stellen an meinem Oberkörper. »Es tut mir sicherlich nicht weniger Leid als ihm.«
    Er nickte; es war nicht weiter von Belang. Die Streife hatte ihm die Umstände meiner Verhaftung bereits geschildert. Der Wachführer schien dabei erstaunlich wohlwollend gewesen zu sein.
    »Wozu sollte ich Sie jetzt hier

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