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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Engelmacherin behandeln lassen. Sie will sich nicht fügen und flüchtet zu jemandem, den sie kennt. Als sie doch wieder zu ihrem Wirt zurückkehrt, weil sie essen und trinken muss, beschließt dieser, die Sache in die eigenen Fäuste zu nehmen. Er versucht, das Kind mit Schlägen und Tritten abzutreiben. Eine der anderen Frauen in der Winkelwirtschaft kommt dazu und versucht ihre Freundin zu schützen. Der Lärm alarmiert ein paar Freier in dem Haus, diese alarmieren die Wache, und die Wache überwältigt den Mann und nimmt alle drei fest. Ende der Geschichte.« Er begann wieder die Treppe hinaufzusteigen, seine Hände zu Fäusten geballt.
    Ich drehte mich um und sah den Wachen mit ihren Gefangenen nach. Ich wusste nicht, ob die werdende Mutter vor Schreck oder vor Schmerzen weinte und ob der Wirt Erfolg gehabt hatte oder nicht. Vielleicht würde es sich erst in ein paar Tagen herausstellen, wenn ein unsägliches Etwas ans Tageslicht kam, das totgeschlagen worden war, bevor es richtig mit dem Leben hatte beginnen können. Vielleicht würde es sich gar nicht herausstellen, und die werdende Mutter sowie das, was die Schläge und Tritte von der Frucht in ihrem Bauch übrig gelassen hatten, würden nach derselben Zeitspanne in einem grob gezimmerten Sarg liegen. Die andere Dirne und das Eingreifen der Wachen hatten sie aus der unmittelbaren Gefahr geborgen. Gerettet war sie noch nicht. Eine Dirne, die ihren Lebensunterhalt damit bestritt, sich für Geld auf den Rücken zu legen und dabei so kalt zu sein wie Marmor – und gleichzeitig für das Kind eines unbekannten Vaters in ihrem Leib sich eher totschlagen ließ. Ich starrte auf den Rücken des Wirtes und wünschte mir, die Wachen hätten ihn noch ein wenig stärker bearbeitet.
    – Ich hatte vor wenigen Stunden dasselbe getan wie er.
    Böse Worte können wuchtiger sein als Schläge. Ich hatte sehr böse Worte zu Jana gesagt. Sie war Mitte dreißig und aus dem besten Alter für eine Schwangerschaft zehn Jahre heraus. Es war mein Kind, das in ihr heranreifte, und sie wusste, dass es sie umbringen konnte, das Kind zur Welt zu bringen. Sie hatte es nicht in voller Absicht gezeugt, aber als ihr die Hebamme die Schwangerschaft verkündet hatte, hatte sie das neue Leben angenommen.
    Alles, was ich dazu zu sagen gehabt hatte, war, dass sie zu dämlich sei, auf eine Weise mit mir ins Bett zu gehen, bei der kein Kind herauskam.
    Die Angst um Jana, die mich zu meinen groben Worten hingerissen hatte, war noch immer so stark wie zuvor, aber der Zorn gegen sie war verflogen. Die Dirne würde womöglich in ein paar Tagen tot sein, innerlich verblutet oder vergiftet von dem kleinen Leichnam in ihrem Körper; Jana würde womöglich in ein paar Monaten bei der Geburt des Kindes sterben, das ich mir nicht gewünscht hatte. Ich spürte, wie mir übel wurde. Ich drängte die Übelkeit zurück.
    Gehen Sie von einem campo zum anderen, hatte Moro gesagt. Immer der Reihe nach, dann kommen Sie ans Ziel.
    Jemand tippte mir auf die Schulter. Ich sah mich um. Der Kerkerwächter deutete ungeduldig nach oben. Calendar war bereits am oberen Ende der Treppe.
    Ich verspürte plötzlich eine Liebe für Jana, die mir beinahe die Tränen in die Augen trieb. Ihr würde nichts geschehen. Sie würde unser Kind austragen und auf die Welt bringen, einen strammen Sohn, der meine massige Gestalt, oder ein hübsches Mädchen, das ihre schwarzen Augen erben würde. Der Blitz schlägt niemals an derselben Stelle zweimal ein, und ich hatte meine Rechnung bereits mehr als bezahlt. Ich hatte meine Frau verloren, meine Familie, sieben Jahre meines Lebens. Diesmal würde es gut gehen. Und wenn ich es während der Geburt draußen vor der Tür nicht mehr aushielt, dann würde ich zu Jana in das Schlafzimmer gehen und ihre Hand halten, und wenn die Hebammen kreischten und mich einen perversen Wüstling schimpften, dann zum Teufel mit ihnen.
    »Wollen Sie nun hier heraus oder nicht?«, rief Calendar zu mir herab. Ich atmete tief ein und erklomm die Treppe. Ich musste noch in der nächsten Stunde ein schwieriges Gespräch mit der Frau führen, die mir eine zweite Chance bot, für eine Familie da zu sein.
    Der Kerkerwächter blieb am Ende der Treppe stehen. Calendar führte mich durch den nun stillen Gang im Obergeschoss des Palastes und zu der breiten Treppe, die hinunter in den Hof führte. Er hatte sich wieder entspannt, aber er schien in Gedanken versunken, sein Gesicht wirkte verschlossen. Zu meiner Überraschung

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