Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
grundsätzlich nicht. Wir ›begeben uns‹.«
    Donald Martin akzeptierte die Erläuterung mit einem schwachen Lächeln und unterschrieb mit einem etwas zittrigen Schnörkel.
    »Wie gut haben Sie Mr. Quinn gekannt, Sir?«
    »Eigentlich nicht sehr gut. Er ist erst seit –«
    »Ja, das steht in Ihrer Aussage. Aber warum hat der Geschäftsführer Sie und nicht einen der anderen Kollegen hingeschickt?«
    »Das weiß ich auch nicht.«
    »Was haben Sie hier im Haus erwartet?«
    »Ich habe mir gedacht, daß er vielleicht krank ist und sich deshalb nicht melden konnte.«
    »Es ist Telefon im Haus.«
    »Ja, aber er könnte doch … Es könnte ein Herzanfall oder so was gewesen sein.«
    Morse nickte. »Verstehe. Wissen Sie zufällig, wo seine Eltern wohnen?«
    »Irgendwo in Yorkshire, glaube ich. Aber bestimmt hat die Geschäftsstelle –«
    »Ja, natürlich. Hatte er eine Freundin?«
    Martin spürte den Blick der strengen grauen Augen, die auf ihn gerichtet waren, und hatte plötzlich einen sehr trockenen Mund.
    »Nicht daß ich wüßte.«
    »Keine hübsche Puppe im Büro, an der er Gefallen gefunden hatte?«
    Die Pause war minimal, aber sie genügte, um Morses Phantasie in leichte Schwingungen zu versetzen.
    »So was soll’s ja geben, nicht? Er war Junggeselle?«
    »Ja.«
    »Sind Sie verheiratet, Sir?«
    »Ja.«
    »Hm. Vielleicht haben Sie vergessen, wie es sich allein lebt.«
    Morse wäre es lieber gewesen, wenn Martin ihm über den Mund gefahren wäre und gesagt hätte, er solle nicht so einen Blödsinn reden, aber Martin sagte nichts dergleichen.
    »Ich weiß nicht recht, worauf Sie hinauswollen, Inspector.«
    »Lassen Sie’s gut sein, das weiß ich manchmal selber nicht.« Er stand auf. Martin folgte seinem Beispiel und knöpfte seinen Mantel zu. »Jetzt fahren Sie am besten wieder ins Büro zurück, sonst macht man sich dort noch Sorgen um Sie. Sagen Sie dem Geschäftsführer, daß ich mich so bald wie möglich mit ihm in Verbindung setzen werde. Er soll Mr. Quinns Büro abschließen.«
    »Sie wissen wohl nicht …« begann Martin leise.
    »Doch, einiges wissen wir schon. Leider. Er ist mit ziemlicher Sicherheit ermordet worden.« Das unheimliche Wort schien noch eine Weile im Raum zu hängen, in dem es mit einem Schlag gespenstisch still geworden war.

6
     
    In den vergangenen zehn Jahren hatte der Verband für Auslandsprüfungen seine Netze über den halben Erdball ausgeworfen, und für seine rund hundert Stützpunkte im Ausland war der 25. November, ein Dienstag, für die Wiederholung der Englischprüfungen für den Realschulabschluß, die sogenannten O-Levels, festgesetzt worden. Für die Mehrheit der ausländischen Prüflinge war dieser Vormittag die ersehnte zweite Chance. Eine gute Englischnote war sowohl für eine künftige Stellung als auch für eine weite führende Ausbildung so wichtig, daß es kaum einen unter den Kandidaten gab, der den beiden Prüfungsthemen (Aufsatz und inhaltliches Verstehen) nicht den nötigen Respekt entgegenbracht. Nur die wenigen, die bei dem Termin im Sommer krank gewesen waren, machten die Prüfung zum erstenmal. Die übrigen waren die, die beim ersten Anlauf durch angeborene Unfähigkeit oder momentane Faulheit versagt hatten und die Prüfer erst noch davon über zeugen mußten, daß sie im Umgang mit der englischen Sprache ein einigermaßen annehmbares Niveau erreicht hatten.
    An diesem Vormittag wies in Übereinstimmung mit den Vorschriften der zuständigen Prüfungsstellen um 11 Uhr 55 das Aufsichtspersonal in Genf, in Ost- und Westafrika, in Bombay und am Persischen Golf die Prüflinge darauf hin, daß in fünf Minuten Abgabeschluß für die Arbeiten war. Die Kandidaten sollten noch einmal nachsehen, ob sie auf jeden Bogen ihren vollständigen Namen und ihre Kenn-Nummer geschrieben hatten, und sollten die Blätter in der richtigen Reihenfolge abgeben. Einige wenige Prüflinge schrieben noch fieberhaft und zumeist vergebens. Die anderen sahen noch einmal ihre Texte durch, ordneten die Blätter, rückten sich leicht entspannt zurecht und grinsten ihren Mitprüflingen zu, die an den jeweils eineinhalb Meter voneinander entfernt stehenden Tischen in Klassenräumen oder Turnhallen saßen.
    Schlag zwölf gab in einem klimatisierten, europäisch eingerichteten Klassenraum im Scheichtum Al-jamara ein junger Engländer, der zum erstenmal bei einer Prüfung Aufsicht führte, die Aufforderung zum Einstellen der Arbeit. Vor ihm saßen nur fünf Schüler, alles Araber, die alle schon

Weitere Kostenlose Bücher