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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Stillstand gekommen. Jetzt aber hatten sie sich wieder in Bewegung gesetzt, der Vorwärtsgang war eingeschaltet, und zwei oder drei Rädchen sirrten wie verrückt. Er sah auf die Uhr. Der Vormittag war vorbei. »Was für ein Gesöff servieren sie denn im Roß und Trompete, Lewis?«
     

10
     
    Wenige der nach dem Zweiten Weltkrieg in Oxford errichteten Gebäude haben bei Stadt und Universität großen Anklang gefunden. Es ist vielleicht nicht weiter verwunderlich, daß eine Bevölkerung, die täglich so viele schöne alte Bauten vor Augen hat, gegenüber dem Spannbeton der seltsamen Nachkriegskonstruktionen voreingenommen ist. Oder vielleicht sind auch alle modernen Architekten verrückt. Allgemein gilt das John Radcliffe Hospital als eines der am wenigsten mißglückten Beispiele moderner Baukunst. Die unmittelbar in der Nachbarschaft Wohnenden allerdings, deren teure Einfamilienhäuser durch das gigantische Bauwerk in den Schatten gestellt werden und die jetzt von ihren Gärten aus nicht mehr auf die offenen Grünflächen des Manor Park, sondern auf ein breite, belebte Zufahrtsstraße schauen, sehen das anders. Das siebengeschossige Krankenhaus aus cremeweißem Backstein mit schokoladebraunen Gesimsen steht auf einem großen, baumbestandenen Grundstück. Königsblaue Schilder mit großen weißen Buchstaben weisen Ortsunkundigen den Weg. Doch Ortsunkundige sind hier rar, denn das John Radcliffe Hospital sorgt dafür, daß sämtliche unter der Gesundheitsbehörde von Oxfordshire geborenen Babies wohlbehalten das Licht der Welt erblicken, und fast alle schwangeren Frauen haben dort schon viele Male ihre kostbaren Embryos betasten und befummeln, abhorchen und ausloten lassen. So auch Joyce Greenaway. Aber bei ihr (ein Fall von Tausend, wie es so schön heißt) ist nicht alles so ganz nach gynäkologischer Garantie gelaufen.
    Am Mittwochnachmittag hatte Frank Greenaway frei, und um eins rollte er auf den Krankenhausparkplatz. Ihm war schon wieder sehr viel leichter ums Herz, denn es sah jetzt so aus, als käme doch alles ins Lot. Trotzdem wurmte es ihn immer noch, daß der Vorarbeiter in Cowley, dieser unfähige Trottel, es am vergangenen Freitag nicht fertiggebracht hatte, eine Nachricht an ihn weiterzugeben, und er hatte das Gefühl, als habe er seine Frau im Stich gelassen, wo es doch ihr erstes Baby war. Joyce selbst hatte sich nicht verrückt machen lassen. Als sie den Eindruck hatte, daß die Lage kritisch wurde, hatte sie, vernünftig wie sie war, von sich aus im Krankenhaus angerufen. Dennoch ging es ihm nach. Denn als er abends um halb zehn glücklich ins Krankenhaus gekommen war, kämpfte sich ihr untergewichtiger Sprößling – drei Wochen vor der Zeit geboren – schon auf der Intensivstation tapfer und erfolgreich ins Leben hinein. Ich kann ja schließlich nichts dafür, sagte sich Frank. Aber für ihn (er hatte wenig Phantasie, aber ein mitfühlendes Herz) war es, als wenn einer zehn Minuten zu spät zu einem Match von Oxford United kommt und feststellt, daß er das einzige Tor des Spiels versäumt hat.
    Auch er war kein Ortsunkundiger mehr. Automatisch öffneten sich die Türen vor ihm, und er ging zielstrebig durch die Eingangshalle mit dem blauen Teppichboden, vorbei an den beiden Informationsschaltern, geradewegs zum Aufzug, wo er, ausgerüstet mit einem frischgewaschenen Nachthemd, einer Schachtel Konfekt und dem Woman’s Weekly, den Knopf zum 6. Stock drückte.
    Joyce und der Kleine waren noch auf der Isolierstation – irgendwas wegen Gelbsucht (»Sie brauchen sich aber keine Sorgen zu machen, Mr. Greenaway.«), und Frank betrat Zimmer 12. Warum er ein bißchen befangen war, hätte er selbst nicht so recht sagen können, dagegen wußte er sehr wohl, daß er allen Grund zu fortgesetzter Besorgnis hatte. Die Ärzte hatten verlangt, daß er noch nicht darüber sprach (»Ihre Frau hat es nicht ganz leicht gehabt, Mr. Greenaway.«) Trotzdem – sie würde es jetzt bald erfahren müssen, würde es fast zwangsläufig früher oder später erfahren. Aber er hatte bereitwillig versprochen mitzuspielen, und die Oberschwester hatte zugesagt, Besucher von Joyce einzuschwören. (»Die postnatale Phase kann sehr schwierig sein, Mr. Greenaway.«) Natürlich auch keine Oxford Mail.
    »Wie geht’s, mein Schatz?«
    »Gut.«
    »Und dem Kleinen?«
    »Auch gut.«
    Sie küßten sich und waren bald über ihre Befangenheit hinweg.
    »War der Fernsehmensch schon da? Ich wollte dich gestern schon danach fragen.«
    »Nein,

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