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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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in dieses Muster? Die laufende Nummer seiner Kinokarte – etwa vierzig Stellen nach Quinn – ließ, wenn die Geschäftsführerin richtig gerechnet hatte, darauf schließen, daß Ogleby erst gegen vier oder fünf ins Kino gekommen war. Aber wie paßte das nun wieder hinein? Überhaupt nicht. Eben. Versuch’s noch einmal, Morse. Vielleicht war Monica durch irgend etwas abgeschreckt worden? Klang schon wahrscheinlicher. Hatte sie irgend etwas oder irgend jemanden gesehen? War das der Grund für all die Flunkerei? Nachdem sie erfahren hatten, daß Quinn im STUDIO 2 gewesen war, hatte sie wieder gelogen, und … Herrgott, was für ein Durcheinander. Die Bilder flackerten unruhig an der Wand, die Gesichter verblaßten, veränderten sich, verblaßten erneut …
    »Sie waren weit weg, Inspector.«
    »Wie? Pardon. Ich habe nur mit offenen Augen geträumt.«
    »Von mir?«
    »Unter anderem.«
    Auf dem Tisch neben dem Bett lag die Times, die Seite mit dem Kreuzworträtsel war aufgeschlagen, aber nur drei oder vier Worte waren eingetragen, und Morse kam wieder ins Grübeln. Ob Monica wußte, wo die Langerhans-Inseln lagen? Wenn nicht, konnte bestimmt die Schwester – Moment mal! Sein spärlicher werdendes Haar sträubte sich, und er hatte plötzlich eine Gänsehaut. Ja, es war ein verlockender Gedanke, und die alten Fragen kamen ihm wieder in den Sinn. In welchem Meer liegen die Langerhans-Inseln? Wann wurde George Washington ermordet? Wer war Kansas-Nebraska Bill? In welchem Jahr wurde R. A. Butler Premierminister? Von wem ist das Forellenquartett? Unter welchem Namen wurde der Schwarze Prinz bekannt, als er König wurde? All diese Fragen waren Nicht-Fragen. Georgie Washington starb nicht durch Mörderhand, es hieß nicht der, sondern die Kansas-Nebraska-Bill, und es handelte sich dabei um eine Gesetzesvorlage. Fragen, die kein Mensch zu beantworten vermochte, weil es Fragen waren, die man überhaupt nicht stellen konnte. Morse war fixiert darauf herauszubekommen, wer wann warum im STUDIO 2 gewesen war. Aber wenn das alles Nicht-Fragen waren? Wenn nun überhaupt niemand im STUDIO 2 gewesen war? Alles in dem Fall war darauf angelegt, ihn in die Irre zu führen, ihn glauben zu machen, sie seien dort gewesen. Einigen der Beteiligten – vielleicht allen – lag daran, daß er das glaubte. Und er war geradewegs den Gang in dem dunklen Kinosaal heruntergestolpert und hatte sich wie blind vorwärtsgetastet, um festzustellen wie ein Narr, wer da saß. Aber vielleicht, Morse, hat da niemand gesessen. Niemand.
    »Wen haben Sie gesehen, als Sie ins STUDIO 2 kamen, Miss Height?«
    »Wollen Sie mich nicht Monica nennen?«
    Die Schwester steckte den Kopf durch den Vorhang und drängte Morse zum Aufbruch, die ihm zugebilligte Zeit sei längst abgelaufen. Er stand auf, sah Monica noch einmal an und gab ihr einen leichten Kuß auf den Scheitel.
    »Sie haben niemanden gesehen, als Sie ins Kino kamen, stimmt’s, Monica?«
    Einen Augenblick zögerte sie, dann sah sie ihn ernst an. »Nein, ich habe niemanden gesehen, das müssen Sie mir glauben.«
    Sie nahm seine Hand und legte sie sanft an ihre weiche Brust.
    »Besuchen Sie mich wieder. Und kümmern Sie sich ein bißchen um mich, ja?«
    Ihr Blick suchte den seinen, und er überlegte erneut, wie ungeheuer begehrenswert sie für einsame Männer war – Männer wie ihn. Aber in ihrem Blick stand noch etwas anderes. Der Ausdruck des Opfers, das vor dem Jäger flieht, der Ausdruck der Angst. »Ich habe Angst, Inspector. Ich habe ganz schreckliche Angst.«
     
    Nachdenklich ging Morse über den langen Gang und schob sich durch die Zelluloidtüren. Der Lancia stand auf einem Parkplatz mit dem Hinweis »Nur Krankenwagen«. Er startete und kurvte langsam über die gewundenen Zufahrtswege, die zur Walton Street führten, als er eine bekannte Gestalt erblickte, die auf das Krankenhaus zustrebte. Er hielt und kurbelte das Wagenfenster herunter.
    »Schön, daß ich Sie treffe, Mr. Martin. Ich wollte gerade zu Ihnen. Steigen Sie ein.«
    »Tut mir leid, jetzt nicht, ich will zu –«
    »Nein, das werden Sie nicht.«
    »Wer sagt das?«
    »Niemand darf zu ihr, bis ich es erlaube.«
    »Aber wann –?«
    »Steigen Sie ein.«
    »Muß ich?«
    Morse zuckte die Schultern. »Nicht unbedingt. Sie können machen, was Sie wollen – jedenfalls, bis ich Sie in Gewahrsam nehme.«
    »Was soll das heißen?«
    »Genau das, was ich gesagt habe. Bis ich Sie in Gewahrsam nehme und Anklage erhebe –«
    »Anklage?

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