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Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn

Titel: Die Schweigende Welt Des Nicholas Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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von Superintendent Strange. Als der Superintendent die Tür aufmachte, bekam er noch den letzten Zipfel des Gesprächs mit.
    »… verrückt, aber –«
    »Habe ich Sie je enttäuscht, Sir?«
    »Oft sogar.«
    Morse zwinkerte Lewis zu und schloß die Tür hinter sich. Es war halb elf, für elf war die Leichenschau angesetzt. Dickson wartete draußen mit dem Wagen. Zu dritt fuhren sie nach Oxford.
    Ort des Geschehens war der Gerichtssaal hinter dem Präsidium in der St. Aldates Street. Vor der Tür stand eine wartende Gruppe. Der Saal war noch besetzt. Lewis musterte die Wartenden. Er hatte, von Morse genau instruiert, an alle geschrieben, die irgendwie von dem Mord an Quinn betroffen waren. Einige würden ohnehin eine Aussage machen müssen, andere nicht (»Wir wären Ihnen aber trotzdem für ihr Erscheinen dankbar …«) Da stand, voll akademischer Ungeduld, der Präsident des Verbandes, die Hände tief in den Taschen des teuren dunklen Mantels vergraben. Da war Bartlett mit angemessen ernster Miene. Monica Height wirkte attraktiv wie immer, trotz ihrer Blässe. Martin lief wie eine nervöse Hyäne auf dem gepflasterten Hof hin und her. Roope rauchte eine Zigarette und sah nachdenklich zu Boden. Mr. Quinn senior stand abseits und sah, wie Bunyans Pilger, in die Grube der Verzweiflung. Mrs. Evans und Mrs. Jardine – in der gesellschaftlichen Hierarchie durch Welten getrennt – unterhielten sich angeregt über die traurigen Ereignisse, die sie zusammengeführt hatten.
    Es war zehn nach elf geworden, als sie im Gänsemarsch den Gerichtssaal betraten, wo der Assistent des Coroners unauffällig-diskret die Sitzordnung nach seinem Geschmack regelte, durch eine hintere Tür entschwand und gleich darauf mit dem Coroner wiederkam. Alle erhoben sich, während der Assistent das juristische Ritual abspulte. Die Verhandlung hatte begonnen.
    Zunächst bestätigte Mr. Quinn senior die Identität des Toten, dann trat Mrs. Jardine in den Zeugenstand, gefolgt von Martin, Bartlett, Sergeant Lewis und Constable Dickson. An den Aussagen, die dem Coroner vorlagen, brauchten weder Ergänzungen noch Abstriche vorgenommen zu werden. Danach berichtete der hagere Polizeiarzt mit dem Rundrücken über die Autopsie. Dabei ratterte er seinen vorbereiteten Text in so atemberaubendem Tempo und unter Verwendung so vieler physiologischer Details herunter, daß er ebensogut einer Sonderschulklasse das orthodoxe Glaubensbekenntnis hätte vorbeten können. Als der letzte Punkt abgehandelt war, überreichte er das Schriftstück ungerührt dem Coroner, verließ den Zeugenstand und verschwand mit größtmöglicher Beschleunigung aus dem Saal und aus dem Fall. Lewis überlegte müßig, was er wohl als Honorar kassiert haben mochte.
    »Chief Inspector Morse, bitte.«
    Morse betrat den Zeugenstand und leierte den Eid herunter.
    »Sie leiten die Ermittlungen im Fall Nicholas Quinn?«
    »Ja, Sir.«
    Doch ehe der Coroner weitersprechen konnte, entstand Bewegung an der Tür, es wurde geflüstert, ein bärtiger junger Mann wurde eingelassen und setzte sich neben Constable Dickson auf eine der niedrigen Bänke. Lewis fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte schon Angst gehabt, sein Brief an Richard Bartlett sei vielleicht verlorengegangen.
    Der Coroner fuhr fort: »Sind Sie bereit, dem Gericht über den derzeitigen Stand Ihrer Ermittlungen zu berichten?«
    »Noch nicht, Sir. Mit Ihrer Erlaubnis, Euer Ehren, möchte ich beantragen, die Verhandlung um vierzehn Tage zu vertagen.«
    »Darf ich daraus schließen, Chief Inspector, daß Sie damit rechnen, Ihre Ermittlungen in dieser Zeitspanne zum Abschluß bringen zu können?«
    »Jawohl, Sir. In Kürze, wie ich hoffe.«
    »Aha. Sie haben bisher noch keine Verhaftung vorgenommen?«
    »Eine Verhaftung steht bevor.«
    »Tatsächlich?«
    Morse nahm einen Haftbefehl aus der Tasche und hielt ihn hoch.
    »Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, einen so melodramatischen Ton in die Verhandlung zu bringen, Euer Ehren. Aber falls Euer Ehren der Vertagung zustimmen, ist es meine Pflicht, unmittelbar danach eine Verhaftung vorzunehmen.«
    Morse ließ seinen Blick über die erste Reihe wandern: Dickson, Richard Bartlett, Mrs. Evans, Mrs. Jardine, Dr. Bartlett, Monica Height, Roope, Lewis. Ja, da waren sie, alle miteinander, und der Mörder saß unter ihnen. Es lief alles nach Plan.
    Der Coroner vertagte formell die Verhandlung um zwei Wochen, und das Gericht erhob sich, als der hohe Herr den Saal verließ, was er höchst ungern tat. Es

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