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Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)

Titel: Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Callahan Henry
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der Nase und einer Frisur, die an den schiefen Turm von Pisa erinnerte, und sah mich blinzelnd an. »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ja, ich möchte zu Micah Reynolds.«
    »Haben Sie einen Termin?«
    »Nein«, sagte ich. »Meine Mutter und er waren in den Sechzigerjahren befreundet. Sie ist neulich verstorben, ich würde ihn gerne kurz sprechen.«
    »Ach, Liebes, das tut mir sehr leid, dass Sie Ihre Mutter verloren haben.«
    »Danke«, sagte ich.
    Sie stand auf, watschelte in dem merkwürdigsten Gang, den ich je gesehen hatte, auf mich zu, nahm mich in den Arm und drückte mich gegen ihren Busen. »Es ist schwer, seine Ma zu verlieren. So schwer. Ich bin gleich wieder da, sage nur Micah, dass Sie da sind. Oh, und wie hieß sie?«
    »Lillian«, sagte ich. »Er kennt sie als Lillian Ashford.«
    Als Micah schließlich ins Foyer geschritten kam, beeindruckte mich erst sein blendendes Aussehen und dann sein Lächeln. Er streckte mir die Hand entgegen, noch bevor er bei mir angekommen war. »Hallo«, sagte er. »Ich bin Micah Reynolds. Und Sie müssen Lillys Tochter sein. Gott, Sie sehen genau aus wie sie.« Er schüttelte heftig meine Hand.
    »Ja, ich bin Ellie Calvin. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
    »Nun, wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich würde gerne kurz mit Ihnen reden. Nicht lange, versprochen.«
    »Kommen Sie mit.« Er zeigte den langen Flur mit dem Marmorfußboden entlang, ich folgte ihm in sein Büro.
    Er schloss die Tür, und ich ließ mich auf einen Lederstuhl vor seinem Schreibtisch sinken, aber er winkte mich zu zwei Ohrensesseln an einem Mahagonitisch hinüber. »Lassen Sie uns hier reden.«
    In dem Büro hingen die Wände so voll mit gerahmten Fotos von Micah mit verschiedenen Würdenträgern, Auszeichnungen, Abschluss-und Ehrenurkunden, dass kaum noch zu erkennen war, in welcher Farbe sie ursprünglich gestrichen waren. Ich setzte mich ihm gegenüber, und als die Höflichkeitsfloskeln beendet, die Umstände von Mutters Tod erzählt und die Beileidsbekundungen entgegengenommen waren, beugte er sich vor. »Und, wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Der Sommer 1961«, sagte ich. »Ich hatte gehofft, Sie könnten mir darüber etwas erzählen.«
    »Darüber sind Bücher über Bücher und Artikel über Artikel geschrieben worden, Mrs. Calvin. Er war ein Wendepunkt in der Geschichte Alabamas.«
    »Ich weiß. Ich meinte auch, können Sie mir etwas über meine Mutter in jener Zeit erzählen?«
    Er lächelte und lehnte sich im Sessel zurück, als würde er gleich eine lange, lange Geschichte erzählen wollen. »Wissen Sie, sie ist nie wieder hierher zurückgekommen, soweit mir bekannt ist. Birdie hat sie gebeten, das weiß ich. Aber nach dem Sommer 1961 war sie nie wieder hier.«
    »Einmal, aber nur kurz«, sagte ich.
    Er sah zur Decke hoch, dann wieder mich an. »Ja, einmal.« Die Hände auf die Knie gestützt, beugte er sich vor. »Was möchten Sie wissen?«
    »Wie war sie?«
    »Jene Tage damals waren berauschend und ereignisreich. Wir waren dabei, die Welt zu verändern, und wussten das auch. Wir lebten von Adrenalin, Leidenschaft und Überzeugung. Ihre Mutter war nicht anders. Wenn Sie wissen wollen, wie ich mich an sie erinnere – ich erinnere mich, dass sie lachte, voller Pläne und Ideen steckte. Sie war die Organisatorin, hat alles organisiert. Fand immer Mittel und Wege, uns da hinzubringen, wo wir hinwollten. Wir trafen uns, und sie schrieb die ganze Zeit mit und malte Ablaufpläne, um sicherzugehen, dass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein würden.«
    Ich lachte. »Ja, das ist ganz meine Mutter. Die Planerin. Die Organisatorin.«
    »Aber sie hat das alles mit großem Herzen und viel Lachen gemacht.«
    »Nein«, sagte ich kopfschüttelnd, »das ist der Teil von ihr, den ich nicht kenne. Das Planen, ja. Die Umsetzung der Pläne, ja. Das Organisieren, auf jeden Fall.«
    Er schürzte die Lippen. »Das tut mir leid, Ellie, ganz ehrlich.«
    »Warum tut es Ihnen leid?«
    »Mir tut es leid für Sie, dass Sie Ihre Mutter so nie kennengelernt haben. Sie war ein Sonnenkind.«
    »Was, glauben Sie, hat sie so verändert?«, fragte ich, neugierig, die Vergangenheit dieses Mannes ans Tageslicht zu ziehen, den ich eben erst getroffen hatte.
    »Wir alle verändern uns. Das müssen wir auch. Ich war damals viel wütender. Sie war leidenschaftlicher.« Er zuckte die Achseln.
    »Wie viele waren denn in Ihrer Gruppe?«, fragte ich.
    »Meistens waren wir zu sechst, aber in den beiden Sommern kamen und gingen immer wieder

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