Die Schwere des Lichts: Roman (German Edition)
Wir sprachen über alle möglichen Dinge und Ereignisse der letzten fünfundzwanzig Jahre, über Familie und Kinder und Geburten und Todesfälle. Wir sprachen über Auburn Football und unsere Berufe, über Kunst und Geschichte und alles, außer über Rusty und Hillary.
Ich gähnte, Hutch musste lachen. »Okay, ich glaube, die Party ist vorbei.«
Ich blickte auf den leeren Steg, die vollen Mülleimer und in die dunkle Nacht. »Ja, scheint so.« Er stand auf und hielt mir seine Hand hin. »Danke für das lange Gespräch«, sagte ich.
Wir ruhten wieder einmal in unserem Schweigen, bis ich fragte: »Hör mal, am Sonntag findet in Mobile das Buchfestival statt. Willst du vielleicht hingehen?«
»Hingehen?«
»Mit mir. Ich habe vor, hinzugehen.«
Er sah mich einen Moment lang an, ich wollte ihn küssen. Ich wollte seine Güte schmecken. Ich wollte ihn.
Sein Lächeln war wie ein Geschenk. »Gern.«
»Gute Nacht, alter Freund«, sagte ich und wandte mich ab, bevor ich noch die ganzen an diesem Abend verheilten Wunden wieder aufreißen konnte.
»Gute Nacht«, hörte ich ihn sagen, aber ich war schon fünf Schritte voraus, auf dem Weg zum Gästehaus. Ich spürte seinen Blick auf mir, bis ich die Tür aufmachte, mich umdrehte und zum Abschied winkte. Aber er war nicht mehr da, ich hatte mir den Blick eingebildet. Ich lehnte den Kopf gegen den Türpfosten und blickte in die Nacht. Dann sah ich ihn. Er stand am Ende des Stegs und sah mich immer noch an. Ich winkte und schloss, wenn auch ungern, die Tür.
Ich hatte die Tür vor ihm vor sehr langer Zeit geschlossen, und jetzt war es höchste Zeit, sie wieder aufzumachen.
ung.
Auszug aus Lillian Ashfords Tagebuch
Silvester 1962
Zweiundzwanzig Jahre alt
Ende Januar fing ich an, mich zu übergeben. Immer wieder. Nicht bloß morgens oder wenn mir ein schlechter Geruch in die Nase kam oder ich mich zu schnell bewegt hatte – einfach immer. Ich habe mich bei Mrs. Prinkle so oft krankgemeldet, daß sie mich schließlich in ihr Büro holte. Ich wußte, wie ich aussah – bleich und mager und traurig.
Meine Tage waren wie von einem schwarzen und weißen und grauen Nebel umhüllt gewesen. Alles schien sinnlos und nutzlos und langweilig. Was früher Spaß gemacht hatte, machte jetzt keinen mehr. Lachen war ganz und gar unmöglich geworden. Ich hatte es verlernt. Und diese blöden Verzierungsarbeiten – hatten diese Frauen nichts Besseres zu tun, als Mrs. Prinkle nach blaugrünen Stoffproben für ihre Wohnzimmersessel zu fragen?
Mrs. Prinkle sah mich lange an und fragte dann ganz direkt, als hätte ich diese Frage schon hundert Mal gehört, »Sind Sie schwanger?« Das war mir noch keine Sekunde in den Sinn gekommen. Wirklich nicht. Die Nacht mit Redmond war eine Erinnerung, die ich ausgelöscht hatte wie alles, was ich nicht mehr sehen wollte. Nicht, daß ich ihn nicht mochte oder daß der Sex schlecht gewesen wäre, nur wegen dem Grund, aus dem … wegen dem Grund.
Aber so ist das – der Grund zählt manchmal nicht. Das Ergebnis schon.
Nur manchmal.
Wie dieses Mal.
S IEBZEHN
A m Sonntagmorgen wachte ich noch vor der Dämmerung auf und konnte nicht wieder einschlafen. Mein Leben mit all seinen Entscheidungen und Anfängen, seinen Abschieden und Sorgen wirbelte mir durch den Kopf. Am Ende gab ich die Hoffnung auf sorglosen Schlaf auf, setzte mich im Licht einer einzigen Lampe an den Tisch im Esszimmer und breitete meine neu erworbenen Kunstmaterialien vor mir aus. Mit dem Kohlestift zog ich eine horizontale Linie mitten über den Plakatkarton, verwischte die Enden und teilte dann die Linie in drei Abschnitte auf: 1960, 1961 und 1962. Das Tagebuch lag offen auf dem Tisch, ich begann mit dem Jahr 1960, wobei ich nur eintrug, was ich wusste: »Ihn kennengelernt«, »Semesterbeginn«, »Rückkehr nach Bayside«. Ich endete mit einem gelben Stern bei meinem Geburtsdatum im Jahr 1962. Begleitet allein von den Geräuschen der Natur, fing ich an, die leeren Stellen auszufüllen.
Geschichtsbücher zeigen Fotos und Einzelheiten, meine Fantasie ließ Bilder entstehen. Ich zeichnete das Sommerhaus, Georgia Tech, das Haus in Atlanta, in dem meine Mutter aufgewachsen war, und einen gesichtslosen Ihn. Als ich bei der Busverbrennung 1961 angekommen war, brannten auch meine Augen, und die Hände taten mir weh. Die Sonne des späten Vormittags schickte ihre Strahlen, in denen der Staub tanzte, auf den Tisch. Ich streckte mich. Das Verbrennen des Busses schien ein Wendepunkt im Leben der
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